Wir brauchen Jod nicht nur für die Schilddrüse

Wer Jod noch als brennendes Desinfektionsmittel für aufgeschlagene Knie kennt, wird das Spurenelement nicht in bester Erinnerung haben. Und wer keine Schilddrüsenerkrankung hat und nicht gerade schwanger ist, wird sich vermutlich kaum Gedanken darüber machen, ob genug Jod im täglichen Essen steckt.

 Wenn man sich ständig müde fühlt, unter kalten Händen oder sogar Herzrasen leidet, können das Hinweise auf einen Mangel an Jod sein. Dieses Spurenelement ist für uns lebensnotwendig, denn es ist an der Regelung des gesamten Körperstoffwechsels beteiligt. Foto: Fotolia

Wenn man sich ständig müde fühlt, unter kalten Händen oder sogar Herzrasen leidet, können das Hinweise auf einen Mangel an Jod sein. Dieses Spurenelement ist für uns lebensnotwendig, denn es ist an der Regelung des gesamten Körperstoffwechsels beteiligt. Foto: Fotolia

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Zumal viele meinen, wenn sie Jodsalz verwenden, sei alles in bester Ordnung. Doch das ist weit gefehlt.

Jodmangelsymptome sind in Deutschland (wieder) auf dem Vormarsch. So beklagten Wissenschaftler des Dortmunder Forschungsinstituts für Kinderernährung schon 2011, dass sich die Jodversorgung deutscher Schulkinder nach Verbesserungen zwischen 2004 und 2006 seither wieder verschlechtere. Die im Urin der Kinder gemessenen Jodwerte lägen unterhalb dessen, was die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als ausreichend erachtet.

Das ist nicht gut, denn Kinder zeigen bereits bei mildem Jodmangel messbare Beeinträchtigungen ihrer kognitiven Fähigkeiten. Allerdings benötigen Menschen aller Altersgruppen genügend Jod . Es ist lebensnotwendig. Als Bestandteil der Schilddrüsenhormone T4 (Tetrajod-Thyronin, Thyroxin) und T3 (Trijod-Thyronin) regelt und steuert es den gesamten Körperstoffwechsel. Es entscheidet drüber, ob wir müde oder wach sind, ob wir kalte Hände haben oder Herzrasen, ob wir uns leistungsfähig oder schlapp fühlen.

Das Jod , das wir mit dem Essen oder in Form von Supplementen aufnehmen, wird zum Großteil von der Schilddrüse aufgesaugt und an den Eiweißbaustein Tyrosin geheftet. Werden vier Jodteilchen an ein Molekül Tyrosin geheftet, so entsteht T4. Die Schilddrüse gibt es ans Blut ab, sodass es dem ganzen Körper zur Verfügung steht.

Das eigentlich wirksame, den gesamten Stoffwechsel aktivierende und den Energieverbrauch ankurbelnde Hormon ist jedoch das T3. Es entsteht, indem dem T4 wieder ein Jod abgezwackt wird. Das passiert zum Teil in der Schilddrüse, aber auch in der Leber und in vielen anderen Körperzellen. Letztlich entstehen so rund 80 Prozent des aktiven Schilddrüsenhormons gar nicht in der Schilddrüse selbst.

Für die Umwandlung von T4 in T3 benötigen die Zellen Selen, ein weiteres Spurenelement, von dem wir nicht immer genug im Essen haben. Auch ein Mangel an Vitamin A kann die Umwandlung von T4 in T3 hemmen. Hier zeigt sich einmal mehr, wie wichtig Lebensmittel aus dem Meer für unsere Gesundheit sind. Sie enthalten neben hochwertigen Proteinen und Omega-3-Fettsäuren nicht nur Jod , sondern auch Selen und viele weitere Vitamine und Mineralstoffe in günstiger Kombination. Daher ist es immer besser, Lebensmittel wie Fisch und andere Meeresprodukte zu essen als unkontrolliert einzelne Nahrungsergänzungsmittel einzuwerfen. Generell sollten auch Jodtabletten immer erst nach einer Messung des Jodstatus und in Absprache mit einem in Jodfragen versierten Therapeuten eingenommen werden.

Nährstoffmangel, Lebererkrankungen, aber auch Umweltgifte können die Umwandlung von T4 ins aktive T3 beinträchtigen. Dann ist die Aktivität der Schilddrüsenhormone vermindert, obwohl die Schilddrüse gesund ist. Ein weiteres Problem entsteht, wenn schwere Krankheiten, Selenmangel oder starker Stress dafür sorgen, dass ein Teil des T4 in so genanntes rT3 (reverses T3, wirkt entgegengesetzt) umgewandelt wird. Der niederländische Therapeut für klinische Psychoneuroimmunologie, Professor Leo Pruimboom, erklärt in seinem "Wirkkochbuch" anschaulich, dass diese Hormonvariante den Stoffwechsel bremst, sodass er Energie spart, wo er nur kann. Infolgedessen leidet man unter kalten Händen und Füßen, man kann trotz Diät nicht abnehmen, verliert Haare und kann sogar unfruchtbar werden. Da die Messung des rT3 nicht zur üblichen Standarddiagnostik gehört und die Schilddrüsenwerte oft unauffällig sind, bleibt dieser "gebremste" Stoffwechselzustand oft lange unbehandelt.

Ein weiteres häufiges Missverständnis ist, dass nur die Schilddrüse Jod bräuchte und dass wir nur so viel Jod essen müssten, wie die Schilddrüse benötigt. So nennt auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung in ihren Empfehlungen für die Nährstoffzufuhr nur diesen einen Effekt: "Jod wirkt als Bestandteil der Schilddrüsenhormone." Daher orientiere sich die Ermittlung des täglichen Jodbedarfs "an der Synthese der Schilddrüsenhormone".

Das könnte sich aber als fatal erweisen. Denn wenn sich zehn bis 20 Milligramm Jod im Körper eines Erwachsenen befinden, in der Schilddrüse aber nur acht bis 15 Milligramm, muss die Frage erlaubt sein, wo der Rest steckt und was er dort tut. Dieser Frage gingen in den letzten Jahren etliche amerikanische Patienten und Ärzte nach, unter anderen die selbst an Brustkrebs erkrankte Ärztin Lynne Farrow, deren Buch "The Iodine Crisis" gerade auf Deutsch erschienen ist: "Die Jodkrise: Wie das neue Wissen über ein uraltes Heilmittel Ihr Leben retten kann" (Mobiwell-Verlag, 2015). Wenngleich sich nicht alle Umstände der amerikanischen Jodversorgung und der Umweltbelastungen, die sie stören, auf Deutschland und Europa übertragen lassen, so kristallisiert sich doch Folgendes heraus: Jod steckt in allen Körperzellen, viele Organe benötigen es und reichern es sogar für ihre Belange an - sofern sie genug abbekommen.

Es gibt inzwischen ernst zu nehmende Hinweise darauf, dass Brustzellen Jod zum Schutz gegen gut- und bösartige Knoten benötigen, dass es als starkes Antioxidans wirkt und dadurch alle Körperzellen schützt. Hautzellen benötigen es für die Schweißbildung, im Magen tötet es Krankheitserreger ab, und in den Hirnzellen schützt es die überaus wichtige, aber empfindliche Omega-3-Fettsäure DHA vor dem Ranzigwerden. Auch Prostata- und Eierstockzellen verfügen über ein spezielles Transportsystem, den Natrium-Jod-Symporter, der es ihnen erlaubt, gezielt Jod anzureichern. So könnte das Jod dazu beitragen, Fehlfunktionen und Krebserkrankungen auch dieser Drüsen zu verhüten.

Noch ist zu diesen Jodwirkungen viel Forschung nötig. Zurzeit ist nur der Zusammenhang zwischen Erkrankungen der Brust und Jodmangel gut erforscht. Daher muss die Wissenschaft das Thema intensiver bearbeiten. Denn für Gesunde und Kranke wäre es gut zu wissen, ob sie mit so einfachen Maßnahmen wie einer angemessenen Ernährung oder bei Bedarf auch mit preiswerten Nahrungsergänzungsmitteln viel für ihre Gesundheit tun können. Wir brauchen bessere Tests, mehr Aufmerksamkeit für einen möglichen Jodmangel auch bei normalen Schilddrüsenwerten, und wir sollten die Angst vor dem Jod verlieren, denn auch hier macht die Dosis das Gift. Ziel muss es sein, dem Körper alles Jod zu geben, das er braucht.

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