Teilchenkanone zielt auf Krebszellen

Marburg · Seit Jahrzehnten hat die Strahlentherapie einen festen Platz in der Krebsbehandlung. Nun gibt es eine weitere Variante dieser Technik. Sogenannte Partikelstrahlung soll Tumore punktgenau treffen. Eingesetzt wird sie zum Beispiel in einer neuen Ionenstrahlanlage in Marburg. Es war ein Start mit Hindernissen, denn die Technik ist teuer. Der Neubau stand kurz vor dem wirtschaftlichen Aus. Die Heidelberger Uniklinik kam zu Hilfe.

 So sieht der Bestrahlungsraum des Marburger Ionenstrahl-Therapiezentrums aus: Foto: Schröder/HIT

So sieht der Bestrahlungsraum des Marburger Ionenstrahl-Therapiezentrums aus: Foto: Schröder/HIT

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Neben der Chemotherapie mit Medikamenten, dem Bestrahlen mit Röntgenlicht und der Operation steht den Medizinern mit der Partikeltherapie eine weitere Tumor-Bekämpfungsstrategie zur Verfügung. Schon seit über 60 Jahren haben anfangs Physiker, später dann Mediziner an der therapeutischen Wirkung von Teilchenstrahlen geforscht - seit den 1990er Jahren verstärkt in der Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt.

Elektrisch geladene Teilchen können 30 Zentimeter tief ins Gewebe eindringen und millimetergenau ein Ziel fokussieren. "Damit können wir jede Stelle im Körper erreichen", sagt Thomas Haberer, der an der GSI über solche Zielverfahren promovierte und jetzt als Wissenschaftlich-Technischer Direktor der Ionenstrahl-Therapiezentren in Heidelberg (HIT) und Marburg (MIT) fungiert. In den Tumorzellen zerschießen die Partikel - entweder sind das Wasserstoffkerne (Protonen) oder Kohlenstoffkerne - das Erbmolekül, die DNA. Weitere Bestrahlungen verhindern, dass die Zellen diese Schäden reparieren können. Übrig bleibt zerstörtes Tumorgewebe. "Wie eine Art Matsch", erläutert Andrea Wittig, leitende Ärztin in der Strahlentherapie in Marburg . Der Körper baut diese zerstörten Zellreste schließlich ab. Zurück bleibt allenfalls eine Narbe im Gewebe. So hoffen zumindest die Mediziner. Sie gehen davon aus, dass Partikelstrahlung kaum Nebenwirkungen hat. Doch das muss in Studien am MIT und der baugleichen Anlage in Heidelberg noch nachgewiesen werden.

Eine Besonderheit der Partikelstrahlen besteht darin, dass die Teilchen auf ihrem Weg zum Tumor aus physikalischen Gründen das umliegende Gewebe kaum schädigen - im Unterschied zur Röntgenstrahlung, der klassischen Strahlentherapie . Erst im Zielpunkt - Fachleute nennen es den sogenannten Bragg-Peak - entlädt sich die Energie.

Mit dieser Treffsicherheit wollen die Mediziner sowohl schwer zugängliche als auch äußerst widerstandsfähige Tumore bekämpfen, berichtet die Krebsmedizinerin Engenhart-Cabillic. Dazu zählen Tumore an der Schädelbasis und der Speicheldrüsen. Kritisch sind auch Tumore im Auge. Der Teilchenstrahl kann sie zielsicher erreichen, ohne Sehnerv oder Netzhaut zu schädigen. Auch krebskranke Kinder sollen von der neuen Therapie profitieren: Ihr Körpergewebe ist weit empfindlicher gegen Strahlen als bei Erwachsenen. Das um den Tumor liegende gesunde Gewebe soll bei der Partikeltherapie besser geschont werden.

Die Uniklinik Heidelberg hofft nun, durch den Betrieb der zweiten Partikelzentrums in Marburg die Patientenzahlen auf jährlich insgesamt 1500 Patienten zu verdoppeln. Dadurch ließen sich vergleichende klinische Studien schneller und besser durchführen. Eine Behandlung kann sich über 20 Bestrahlungssitzungen und damit etliche Wochen hinziehen. Die Therapie kostet 25 000 Euro, egal ob nur achtmal oder 20-mal bestrahlt wird, erklärt Irmtraut Gürkan, die kaufmännische Leiterin der Uniklinik Heidelberg.

Die bisherigen Ergebnisse der Heidelberger Anlage sind ermutigend. Rund 800 Patientinnen und Patienten wurden dort pro Jahr behandelt. Bei manchen Krebsarten sind die Therapieerfolge überzeugend. Bei welcher Indikation die Partikeltherapie als Methode der Wahl anzusetzen ist, muss aber in Studien näher untersucht werden. Im Blickpunkt der Mediziner stehen auch Kombinationen aus Partikeltherapie, klassischer Strahlentherapie und Chemotherapie .

Von der technischen Anlage von den Ausmaßen eines Fußballfeldes bekommen die Patienten nichts zu sehen. Im Gegenteil, die Architektur, die Empfangshalle, die Vorbereitungsräume und die drei Bestrahlungsplätze sind so gestaltet, dass sie bei Patienten Stress abbauen und beruhigen sollen. Das Gebäude liegt beschaulich in einem an das Uniklinikum grenzenden Waldstück.

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