Plötzlich häufen sich die Schäden

Saarbrücken · Offenbar wollen einige Fans die Fußball-Europameisterschaft auf einem brandneuen Fernseher verfolgen. Wie ist es sonst zu erklären, dass der Versicherung kurz vorm Turnier ein Schaden am alten Gerät gemeldet wird?

 Versicherungen können immer wieder nachweisen, dass auch Smartphones absichtlich beschädigt werden, um bei der Versicherung Geld für ein neues Gerät zu erschleichen.

Versicherungen können immer wieder nachweisen, dass auch Smartphones absichtlich beschädigt werden, um bei der Versicherung Geld für ein neues Gerät zu erschleichen.

Foto: GDV

Vor der Fußball-Europameisterschaft (10. Juni bis 10. Juli) registrieren die Versicherungen wie immer vor einem sportlichen Großereignis mehr Schadenmeldungen. Erstaunlich viele ältere Fernseher haben plötzlich den Geist aufgegeben. Denn pünktlich zur EM in Frankreich ist eine neue Generation von TV-Geräten auf den Markt gekommen. Die HDR-Technik (High Dynamic Range - hoher Dynamikumfang) verspricht eine noch bessere Bild- und Tonqualität.

Thomas Leicht, Vorsitzender der Kommission Kriminalitätsbekämpfung im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), kennt das Phänomen: "Zur Finanzierung eines neuen Fernsehers wird manchmal ein Schaden am alten Gerät herbeigeführt." Jedes Jahr werden den deutschen Versicherern tausende Schäden an Fernsehgeräten gemeldet. Genaue Zahlen gibt es noch nicht. Jeder vierte gemeldete Schaden ist jedoch nicht plausibel. "In vielen Fällen passen Schadenschilderung und Schadenbild nicht zueinander. Der Schaden kann demzufolge nicht so passiert sein, wie er angegeben wurde", sagt Leicht.

In einer Untersuchung haben sechs große Versicherungen knapp 1800 Schäden an TV-Geräten, die ihnen gemeldet wurden, überprüfen lassen. Bei 25 Prozent davon traten Ungereimtheiten auf. Rolf Kretzschmar, Schadenexperte bei der Zurich-Versicherungsgruppe, nennt typische Fälle von angezeigten Schäden: "Jemand hat angeblich unbeabsichtigt den Fernseher vom Tisch gestoßen oder ist über ein Kabel auf dem Boden gestolpert, wodurch der Fernseher heruntergefallen und kaputt gegangen ist." Oft werden auch Blitz- oder Überspannungsschäden gemeldet. Die Forderung an die Versicherung beträgt im Durchschnitt 745 Euro.

Betroffen von solchen Betrugsversuchen sind vor allem die private Haftpflichtversicherung und die Hausratsversicherung. Der GDV verweist auf Umfrageergebnisse, wonach 40 Prozent der Bürger glauben, in diesen Sparten könnten die Versicherungen verhältnismäßig leicht betrogen werden.

In der Tat werde häufig versucht, aus einem nicht versicherten Schaden - etwa einem technischen Defekt - einen Versicherungsfall zu konstruieren, berichtet der GDV. Dann behauptet zum Beispiel ein Mittäter, er habe den Schaden verursacht, und veranlasst seine Versicherung, die Kosten zu übernehmen.

Inzwischen prüfen die Versicherungen immer öfter, wie ein Schaden entstanden ist. Bei Betrugsverdacht werden Schadenfälle teilweise auch nachgestellt. "Je nachdem, wie sich der Schaden ereignet hat, ergeben sich ganz unterschiedliche Schadenbilder", sagt Rolf Kretzschmar. "Durch einen Sturz werden das Gehäuse und das Display beschädigt. Manchmal splittern einfach nur kleine Teile am Gehäuse ab, manchmal entsteht auch ein großer Schaden am LCD-Bildschirm. Erfahrene Sachverständige können aufgrund jahrelanger Erfahrung und technischer Untersuchungen die genauen Schadenursachen feststellen. Risse, Splitterungen, Brüche, alles kann geprüft werden", sagt Kretzschmar.

Offenbar wirken die vermehrten Überprüfungen abschreckend. "Häufig hört man vom Anspruchsteller oder Versicherten nach Ankündigung der Schadenprüfung überhaupt nichts mehr", berichtet der Experte. "Das Gerät wird nie zur Kontrolle übersandt. Solche Fälle sind dann natürlich mehr als nur auffällig."

Schadenmeldungen häufen sich aber nicht nur vor sportlichen Großereignissen, sondern auch, wenn eine neue Generation von Geräten eingeführt wird.

Nach Erkenntnissen der Versicherungen werden dann auch Smartphones oft absichtlich beschädigt. Die Experten haben nach den Gründen für solche Betrugsfälle gesucht. Oft spielen private finanzielle Engpässe eine Rolle. Da inzwischen beinahe jährlich neue Geräte auf den Markt kommen, "wächst für jüngere Menschen, die intelligente Telefone als Statussymbole verwenden, der Druck, sich in nur kurzen Abständen das neueste Modell besorgen zu müssen - egal wie", heißt es in einer Analyse des GDV.

Die häufigsten Schäden an Smartphones sind gesprungene Displays , defekte Knöpfe und Wasserschäden. Dem GDV ist auch ein Fall bekannt, in dem angeblich ein Bagger übers Handy gerollt ist. Wundersamerweise war nur das Display zersplittert, es gab keine weiteren Schäden.

Doch schon der Austausch des Displays kostet bei neueren Geräten schnell über hundert Euro. Eine Untersuchung des GDV von 2000 eingereichten Anträgen hat gezeigt, dass nur jeder zweite Fall bei beschädigten Smartphones schlüssig nachzuvollziehen ist.

Auf einen versuchten Betrug deuten zum Beispiel widersprüchliche oder wenig detaillierte Aussagen zum Schaden hin sowie Rechnungen, die nicht zur beschädigten Sache gehören oder offensichtlich manipuliert wurden. Verdächtig machen sich auch Kunden, die das angeblich beschädigte Gerät beseitigt oder vernichtet haben, ehe es ein Sachverständiger überprüfen konnte. Und hat der Verdächtigte sich womöglich kurz vor dem Auftreten des Schadens bei der Versicherung nach seinem Versicherungsschutz erkundet?

"Die allermeisten unserer Kunden sind ehrlich", betont Thomas Leicht. "Einige glauben jedoch, dass Versicherungsbetrug ein Kavaliersdelikt ist. Sie bedenken jedoch nicht, dass die ehrlichen Kunden den Betrug mit ihren Versicherungsbeiträgen finanzieren." Die meisten Täter unterschätzten zudem die möglichen Folgen. Es drohten nicht nur der Verlust des Versicherungsschutzes und zivilrechtliche Konsequenzen, sondern auch strafrechtliche Ermittlungen. "In besonders schweren Fällen Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren", sagt der Versicherungsverband.

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Hintergrund Eine Faustformel in der Schaden- und Unfallversicherung lautet: Zehn Prozent der Schadenzahlungen entstehen durch Versicherungsbetrug . Das bedeute für die Versicherungen einen geschätzten Schaden von mehr als vier Milliarden Euro im Jahr, erklärt der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft.

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