Gerüst auf fremdem Boden
Berlin · Es ist gar nicht so selten, dass ein Haus direkt ans Nachbargrundstück grenzt. Vor allen in Städten und eng bebauten Ortskernen ist das häufig der Fall. Doch was ist, wenn eine Wand ausgebessert werden soll und man dafür aufs Nachbargrundstück muss. Kann der Nachbar den Zutritt verweigern?
Der letzte Sturm hat seine Spuren hinterlassen. An der Fassade hat die Wärmedämmung Schaden genommen. Sie muss schnell repariert werden, damit keine Feuchtigkeit eindringt. Doch vom eigenen Grundstück aus kommt der Hausbesitzer nicht an die beschädigte Stelle heran. Die betroffene Fassade befindet sich direkt auf der Grundstücksgrenze zum Nachbarn . Was ist, wenn dieser nicht zustimmt, sein Grundstück zu betreten?
"In solchen Fällen können Hausbesitzer bei ihrem Nachbarn das sogenannte Hammerschlags- und Leiterrecht geltend machen", erklärt Inka-Marie Storm vom Eigentümerverband Haus & Grund Deutschland. "Damit bekommen sie Zutritt zum Nachbargrundstück." Das Hammerschlagsrecht erlaubt es, das Grundstück des Nachbarn zu betreten, um Reparaturen am eigenen Haus ausführen zu können. Das Leiterrecht berechtigt sogar dazu, beim Nachbarn eine Leiter oder ein Baugerüst aufzustellen sowie vorübergehend Geräte und Materialien zu lagern.
Die Bezeichnung Hammerschlags- und Leiterrecht mutet etwas veraltet an, es ist aber aktuell. Als Landesrecht ist es in den einzelnen Bundesländern etwas unterschiedlich geregelt. "Im Prinzip geht es aber immer darum, dass Reparatur- und Instandhaltungsarbeiten vom Nachbargrundstück aus vorgenommen werden können, wenn es keine andere Möglichkeit gibt. Das ist zum Beispiel bei Gebäuden an der Grundstücksgrenze der Fall", erläutert Inka-Marie Storm. Es muss sich ausdrücklich um notwendige Arbeiten handeln. Verschönerungsarbeiten fallen nicht darunter.
Man kann das Hammerschlags- und Leiterrecht auch nicht in Anspruch nehmen, weil man dadurch Kosten spart. "Gibt es andere Möglichkeiten, die Reparatur auszuführen, müssen diese auch genutzt werden, selbst wenn sie etwas teurer sind", stellt Sandra Weeger-Elsner klar, Rechtsanwältin beim Verein "Wohnen im Eigentum". Ein deutlich höherer Aufwand ist dem betroffenen Bauherren aber nicht zuzumuten. "Wo die Grenze liegt, hängt stark vom Einzelfall ab", sagt die Expertin. Sie rät betroffenen Hausbesitzern, sich im Vorfeld zu erkundigen, welche Alternativen es gibt. Das sollten sie ihrem Nachbarn auch mitteilen. "Zu hohe Kosten für eine alternative Lösung sind ein Grund, die Arbeiten doch vom Nachbargrundstück her auszuführen."
Um sein Hammerschlags- und Leiterrecht geltend zu machen, muss der Hauseigentümer seinen Nachbarn rechtzeitig darüber informieren, welche Arbeiten nötig sind, wann sie beginnen, wie lange sie dauern und welche Beeinträchtigungen sie mit sich bringen. "So kann dieser prüfen, ob er die Arbeiten dulden muss. In bestimmten Fällen muss er sogar zustimmen, dass auf seinem Grundstück ein Gerüst aufgestellt wird oder ein Bagger zum Einsatz kommt", sagt Storm. Je nach Bundesland hat er dann zwei Wochen bis zwei Monate Zeit zu entscheiden.
Er kann die Sache aber verschieben, wenn der Zeitpunkt für ihn ungünstig ist. Wer seinem Nachbarn sein Grundstück zur Verfügung stellt, kann von diesem Schadensersatz verlangen, wenn sein Grund und Boden beschädigt wird. Automatisch greift das Hammerschlags- und Leiterrecht also nicht. Der betroffene Grundstückseigentümer kann in gewissen Fällen ablehnen, dass sein Grundstück genutzt wird. Wenn ihn jedoch sein Nachbar fristgemäß und vollständig über sein Anliegen informiert hat, er aber nichts dazu sagt, darf der Nachbar bauen.
"Der Nachbar darf das benachbarte Grundstück dann ohne Weiteres betreten und nutzen, um die Arbeiten auszuführen", sagt Eva Reinhold-Postina vom Verband Privater Bauherren . Sie verweist auf ein entsprechendes Urteil des Bundesgerichtshofs (Az.: V ZR 49/12, Randnummer 15).
Lehnt der Eigentümer es ab, dass sein Grundstück genutzt wird, "dann darf man keinesfalls auf eigene Faust oder sogar heimlich das Grundstück betreten", warnt Inka-Marie Storm. Das wäre Hausfriedensbruch. Notfalls muss der Hausbesitzer, der sein Gebäude reparieren will, vor Gericht ziehen und sein Recht einklagen. Mit einem entsprechenden Urteil in der Hand muss ihm der Eigentümer des Nachbargrundstücks dann den Zutritt gewähren.
"Besser als vor Gericht zu streiten, ist aber in jedem Fall eine gütige Einigung", meint Storm. Schließlich soll kein ernster Nachbarschaftsstreit daraus entstehen.
Im Notfall freier Zugang
Der Hauseigentümer , der die Reparaturen ausführt, ist verpflichtet, so schonend wie möglich vorzugehen. Um den Nachbarn nicht über Gebühr zu belasten, müssen die Arbeiten auf seinem Grundstück zügig ausgeführt werden. "Gerät der angekündigte Zeitplan ernsthaft in Gefahr, kommen unter Umständen zusätzliche Schadensersatzforderungen auf den Bauherren zu", erklärt Weeger-Elsner. "Zum Beispiel wenn der Nachbar in seinem Haus Wohnungen vermietet hat und die Mieter wegen der lang anhaltenden Bauarbeiten die Miete mindern."
Bei Bränden oder Überschwemmungen darf ein Hausbesitzer ohne Ankündigung auf das Grundstück seines Nachbarn , um Schäden am eigenen Haus zu verhindern oder zu reduzieren. Dann greift das Betretungsrecht im Notfall. Es wird gern, aber unberechtigt auch bei Schäden am eigenen Haus herangezogen, die schon länger bestehen. "Der Hausbesitzer muss beweisen, dass eine Notsituation bestand, sonst ist das Betreten verboten", betont die Rechtsanwältin Sandra Weeger-Elsner. "Ist ein Schaden Folge eines Sanierungsstaus, liegt im Allgemeinen kein Notfall vor."