Verbrauchertipp Der Beipackzettel ist oft ein Mysterium

Hamburg/Berlin · Die Informationen zu Medikamenten sollen den Patienten helfen. Allzu oft allerdings verunsichern oder überfordern diese Angaben viele Leser. Bislang war der Kampf um verständlichere Formulierungen aber nicht erfolgreich.

 Die Beschreibungen der möglichen Nebenwirkungen  auf den Beipackzetteln vieler Medikamente verunsichern viele Patienten. In manchen Fällen führen sie sogar dazu, dass Patienten die Mittel nicht einnehmen.

Die Beschreibungen der möglichen Nebenwirkungen  auf den Beipackzetteln vieler Medikamente verunsichern viele Patienten. In manchen Fällen führen sie sogar dazu, dass Patienten die Mittel nicht einnehmen.

Foto: dpa-tmn/Franziska Gabbert

() „Lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.“ Diesen Ratschlag hat man im Leben vermutlich beinahe so oft gehört wie ignoriert. Das Gespräch mit einem Arzt oder Apotheker ist ebenso sicher hilfreich wie der Beipackzettel vieler Medikamente schwer verständlich. Das ist schade, schließlich beantwortet der Zettel viele wichtige Fragen: Wer soll das Medikament einnehmen, wann und wie oft? Welche Nebenwirkungen können auftreten? Doch viele dieser Infos erreichen einfach nicht die Empfänger, sagt Kai-Peter Siemsen, Präsident der Apothekerkammer Hamburg. „Ich vermute mal, dass neun von zehn Patienten den Beipackzettel nicht lesen.“ Kleine Schrift, Bandwurmsätze, Fachausdrücke: „Die Beipackzettel in ihrer heutigen Form überfordern die Patienten oftmals“, sagt Ingrid Dänschel aus dem Vorstand des Deutschen Hausärzteverbands. Grund dafür sei der Versuch der Hersteller, sich juristisch abzusichern.

Tatsächlich gibt es zahlreiche Vorschriften, an die sich Pharmafirmen beim Verfassen der Beipackzettel halten müssen. „Es ist gesetzlich festgelegt, was in den Beipackzetteln stehen muss“, erklärt Rose Schraitle vom Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH). „Die Angaben müssen auf Deutsch verfasst sein, und die Schrift muss gut lesbar sein.“ Auch die Reihenfolge der Informationen sei vorgeschrieben. Patienten mit Beipackzettel-Erfahrung sollen sich so schneller zurechtfinden. „Und es muss verständlich sein“, sagt Schraitle. „Das ist ein Kampf um verständliche und trotzdem richtige Formulierungen, den Hersteller und Behörden seit Jahrzehnten führen.“

Ideen gab es dazu schon viele. Einen Info-Kasten etwa, der die wichtigsten Daten zusammenfasst. Davon sei man wieder abgerückt, sagt Schraitle – damit die Patienten nicht  animiert werden, nur noch diesen Infokasten zu lesen. „Es ist alles wichtig, was auf dem Beipackzettel steht – es ist nur nicht alles für jeden Patienten wichtig.“

Ingrid Dänschel sieht hier trotzdem die Hersteller in der Pflicht  und fordert einen Kompromiss zwischen Patientenfreundlichkeit und juristischer Absicherung: Am besten wäre es, wenn der Beipackzettel zumindest teilweise in einer einfacheren Sprache verfasst und das Schriftbild vergrößert wäre. „Auch das ist für viele Patienten ein großes Problem.“ Apotheker Kai-Peter Siemsen sagt:  „Wichtig auf dem Beipackzettel sind einmal die Kontraindikation, also wann ich ein Medikament nicht nehmen darf.“ Dazu komme natürlich die genaue Anleitung zur Einnahme. Doch selbst da wird es erklärungsbedürftig: „Auf nüchternen Magen“ etwa bedeutet, dass Patienten vier Stunden nichts gegessen und nur Wasser getrunken haben sollten, wie der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) erklärt. Und „mit viel Flüssigkeit einnehmen“ bezieht sich ausdrücklich auf kaltes oder lauwarmes Wasser, nicht auf heiße oder koffeinhaltige Getränke.

Auf dem Beipackzettel steht auch, in welchem Rhythmus Patienten welche Dosis eines Medikaments einnehmen sollen. Bei Antibiotika zum Beispiel sind diese Hinweise entscheidend: „Wenn da dreimal am Tag, alle acht Stunden steht, sollte ich das auch so nehmen“, sagt Siemsen. 30 Minuten mehr oder weniger dürften es  auch mal sein, aber keine wesentlich  größeren Abweichungen. Wer ein Medikament vergessen habe, sollte zur Sicherheit seinen Arzt oder Apotheker fragen, ob er die Einnahme einfach nachholen könne. Medizinische und pharmazeutische Experten können auch weiterhelfen, wenn es Fragen zu Nebenwirkungen gibt – ein Punkt, der gerade bei älteren Medikamenten oft einen größeren Teil des Beipackzettels ausmacht. Die Hersteller sind verpflichtet, alle jemals beobachteten Nebenwirkungen eines Medikaments aufzuführen, sagt BAH-Expertin Schraitle. „Auch wenn nur vermutet wird, dass sie auf das Arzneimittel zurückzuführen sind. Das liest sich dann im Ergebnis natürlich manchmal dramatisch.“

Die Liste der Nebenwirkungen wird so zum zweischneidigen Schwert. Einerseits weiß der Patient, worauf er sich einlässt. Andererseits können vermeintliche Gefahren auch verunsichern. „Teilweise gibt es das schon, dass Patienten Medikamente nicht einnehmen wollen, aus Angst vor den Nebenwirkungen“, sagt Siemse. Er empfiehlt in solchen Fällen, sich die Wahrscheinlichkeit einer Nebenwirkung bewusst zu machen, denn auch die steht ja im Beipackzettel. „Sehr häufig“ zum Beispiel heißt übersetzt, dass die Nebenwirkung bei einem von zehn Behandelten aufgetreten sind. Steht dort „sehr selten“, war es dagegen nur einer von 10 000.

Etwas kniffliger wird es bei den Wechselwirkungen. Denn die sind für Patienten oft kaum überschaubar. Bei Medikamenten könne es vorkommen, dass der Hausarzt ein Mittel verordnet, der Facharzt ein anderes und beide Mediziner von den Verordnungen des anderen nichts wissen, sagt Siemsen. „Deshalb ist es schon wichtig, dass es da den Hausarzt gibt, der den Überblick behält.“ Der müsse auch alle Wirkstoffe kennen, die sich ein Patient auf eigene Faust beschafft, sagt Hausärztin Dänschel. „Denn auch diese haben unter Umständen Neben- oder Wechselwirkungen.“

(dpa)
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