„Dürfen nicht warten, bis noch mehr Leid passiert“ Nach Aktion in Saarbrücken: „Letzte Generation“ kündigt weitere Proteste im Saarland an

Interview | Saarbrücken · Am Dienstag gab es die erste Aktion im Saarland: Im Interview kündigt der Sprecher der Letzten Generation Mannheim weitere Proteste im Saarland an.

Klima-Aktivisten der “Letzten Generation“ blockieren Straße in Saarbrücken
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Klima-Aktivisten der “Letzten Generation“ blockieren Straße in Saarbrücken

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Foto: Aline Pabst

Drei Aktivisten der „Letzten Generation“ blockierten am Dienstagmorgen zeitweise die Autobahn-Abfahrt auf der Malstatter Brücke in Saarbrücken. Ebenfalls vor Ort, aber nicht beteiligt: Raúl Semmler. Der 38-Jährige spielte schon Rollen in Kino- und Fernsehfilmen und sang in Musicals, widmet sich jedoch seit einiger Zeit dem Kampf gegen die Klimakrise. Er ist Sprecher der „Letzten Generation“ Mannheim und hat bereits an vielen Aktionen der Klimaschutz-Initiative teilgenommen. Die SZ hat nach der Blockade auf der Malstatter Brücke mit ihm gesprochen.

Herr Semmler, vielen Menschen drängt sich die Frage auf: Straßen blockieren, sich auf den Asphalt kleben – muss das sein?

Semmler Ich habe mich heute weder auf die Straße gesetzt, noch mich festgeklebt. Ja, ich bin der Meinung, dass es sehr wichtig ist, Widerstand zu leisten. Unsere Bundesregierung hat im letzten Jahr, in dem wir Protest leisten, gezeigt, dass sie noch nicht mal fähig ist, einfachste Klimaschutz-Maßnahmen umzusetzen wie ein Tempolimit von 100 km/h auf deutschen Autobahnen und einem 9-Euro-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr.

Bei diesen Aktionen kommt es zu Verkehrsbehinderungen. Das sorgt für Unmut bei Autofahrern. Wie gehen Sie damit um?

Semmler Heute war die Störung sehr, sehr kurz. Es gibt sehr viele Staus in Deutschland und das war heute ein ganz kleiner, kurzer. Natürlich ist es ärgerlich, wenn die Leute in ihrem Alltag unterbrochen werden und dann vielleicht zu spät zu einem Termin kommen. Aber noch viel ärgerlicher sind Überflutungen wie vorletztes Jahr im Ahrtal und das, was noch auf uns zukommt. Das ist viel schrecklicher, als mal kurz im Stau zu stehen.

Klima: Letzte Generation kündigt weitere Proteste im Saarland an
Foto: Lily Erlinger

Wer steckt hinter der Aktion heute?

Semmler Ich bin einer der Pressesprechenden der Letzten Generation. Wir hatten heute noch zwei Menschen aus Saarbrücken auf der Straße und einen Menschen aus Stuttgart.

Wird Saarbrücken ein neuer Schwerpunkt der Klima-Proteste?

Semmler Das hängt ganz davon ab, wie kooperativ sich die Stadt und die Landesregierung zeigt.

Wie kam es dazu, dass Sie nun hier im Saarland sind?

Semmler Wir hatten an Frau Rehlinger schon einen Brief geschrieben. Es geht darum, dass wir überall darauf aufmerksam machen müssen, dass allerhöchste Eisenbahn ist. Wir haben nur noch ein sehr kleines Zeitfenster und brauchen jetzt einfach einen Gesellschaftsrat, um Vorschläge zu erarbeiten, an die sich die Bundesregierung auch hält, wie sie es auch im Koalitionsvertrag versprochen hatte. Deswegen müssen wir immer wieder auf die Straße gehen.

Wird sich nun ein saarländischer Ableger der „Letzten Generation“ gründen?

Semmler Es gibt hier schon eine Widerstandsgruppe im Saarland. Es gibt Vorträge, Krisensitzungen, wie wir es gerne nennen, Protesttrainings, wo Leute darauf vorbereitet werden, wie es ist, wenn sie auf die Straße gehen. Das wird auch weiterhin stattfinden, denn wir brauchen den Widerstand jetzt überall. Was uns blüht und was wir jetzt schon haben, sind zehntausende Hitzetote in Europa, Waldbrände, Stürme, die immer häufiger werden, wir haben Wasserknappheit – und das sind nur einige der Katastrophen, auf die wir zurasen. Schon jetzt ist es sehr schlimm für viele Menschen. Deswegen müssen wir jetzt handeln und dürfen nicht warten, bis noch mehr Leid passiert.

Die Polizei hat die Aktivisten von der Malstatter Brücke entfernt, aber auch normale Verkehrsteilnehmer packten mit an und schleppten die Leute weg. Wie finden Sie das?

Semmler Ich finde das sehr bedenklich, dass die Polizei spontan neue HilfspolizistInnen mit dazu nimmt oder BürgerInnen einfach Leute von der Straße wegtragen lässt, obwohl es ihr gutes Recht ist, zu demonstrieren. Die Menschen sind vom Versammlungsgesetz geschützt, dazu muss die Polizei erst einmal eine Versammlung auflösen. Dass dann einfach wild Menschen andere wegtragen, die sich dabei auch noch verletzen können, und sie auch versuchen von der Straße zu ziehen, während sie festgeklebt sind, finde ich nicht in Ordnung. Die Polizei hat eine Sorgfaltspflicht uns BürgerInnen gegenüber, also auch den Menschen, die auf der Straße sitzen und erst einmal nur ihr Demonstrationsrecht ausüben. Insofern glaube ich, dass es da Schulungsbedarf bei der Polizei in Saarbrücken gibt.

Die Versammlung war allerdings nicht angemeldet. Sehen Sie das, was Sie tun, als Gesetzesverstoß oder als Akt des zivilen Widerstands?

Semmler Ich sehe das einfach als zivilen Widerstand. Ob das am Ende zu einer Verurteilung kommt, müssen die Gerichte entscheiden. Aber auch Gerichte dürfen nicht mehr neutral sein, denn letztendlich machen sie sich sonst mitschuldig an dem Gesetzesbruch, den die Bundesregierung jeden Tag begeht, indem sie Artikel 20a des Grundgesetzes nicht schützt. Der besagt, dass die Bundesregierung dazu verpflichtet ist – sich selbst verpflichtet hat! – unsere Zukunft, die Zukunft der nächsten Generation und sogar der Tiere zu schützen.

Das Saarland soll demnächst ein Klimaschutzgesetz bekommen – als zweitletztes von 16 Bundesländern. Verfolgen Sie das Thema?

Semmler Ja, ich habe davon gelesen. Das Gesetz geht natürlich nicht weit genug! Es macht Vorschläge, aber beinhaltet keine konkreten Maßnahmen. Das haben schon der BUND und andere Umwelt-Organisationen bemängelt. Insofern braucht sich das Saarland überhaupt nicht damit zu brüsten, dass es jetzt zu spät mit einem unzureichenden Klimaschutzgesetz ankommt, das auch erst im Sommer umgesetzt werden soll. Und erst, nachdem das Gesetz in Kraft tritt, sollen mit verschiedenen Akteuren konkrete Maßnahmen beraten werden. Ein anderer Weg wäre ein Gesellschaftsrat, sowohl hier in der Region, als auch auf Bundesebene. Ein solcher Rat ist ein „Deutschland im Kleinen“, bei dem Leute randomisiert ausgewählt und von Expert:innen beraten werden – damit wir nicht wieder so eine Lobbyisten-Nummer haben.

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