Geschichte Ein missglückter Ausflug zum Kramerhof

Tom fährt meist am Wochenende mit seiner Mutter zu einem Bauernhof, um einzukaufen. Doch diese Woche ist alles anders.

„Mit Essen spielt man nicht! Und nun beeil dich. Der Bus fährt in 20 Minuten ab.“ Mama blickte auf die Uhr. Tom, der träumend aus seinem Frühstücksbrötchen kleine Kugeln geformt hatte, schrak auf. Er stopfte sich die Brötchenkugeln in den Mund, nahm Teller, Becher und Besteck und stellte alles in die Spüle. Jetzt würden sie keine Zeit zum Spülen haben, denn heute war „Landsamstag“.

Samstags nämlich fuhren Tom und Mama meist mit dem Bus aus der Stadt hinaus aufs Land zu einem der Bauern-Hofläden, die sie bei Ausflügen ausfindig gemacht hatten. Dort kauften sie Obst, Gemüse, Eier, Honig, Milch, Butter, Käse, Wurst und Fleisch direkt beim Bauern. Das schmeckte besser als die Lebensmittel aus dem Supermarkt und Mama hatte ausgerechnet, dass dieser Wocheneinkauf auch nicht sehr viel mehr den Geldbeutel belastete.

„Was man bewusst kauft, isst man auch bewusster und man wirft weniger weg“, sagte sie immer und Tom ergänzte dann: „Klar, weil nichts übrig bleibt, das verderben könnte. Es schmeckt ja auch irgendwie besser.“

Tom liebte diese Samstagsfahrten, denn so wurde aus dem Einkauf ein toller Ausflug. Heute würden sie den Kramerhof besuchen. Schon lange waren sie nicht mehr da gewesen, denn der Hof lag etwas weiter entfernt und man musste von der Bushaltestelle zum Hofladen noch fast fünf Kilometer zu Fuß gehen. Aber es war ein schöner Weg, der an Wiesen und Obstgärten vorbei führte und von Schlehen, Holunder, Heckenrosen und knorrigen Apfelbäumen umsäumt war. Hier gab es immer etwas zu entdecken und Tom hängte sich seine kleine Digitalkamera um, als sie den Bus verließen. Vielleicht würden sie unterwegs seltene Singvögel und vielleicht sogar ein Vogelnest entdecken. Toll wäre das für Toms Tierfotosammlung. Der Wiedehopf, den es nur noch selten gab, brütete hier nämlich noch und ein Wiedehopf fehlte in Toms Sammlung.

Gut gelaunt bogen Tom und Mama in den Wiesenweg ein, der zum Kramerhof führte. Aber was war denn hier passiert? Der Weg unter den Obstbäumen war nicht mehr da. Die alten Bäume und Büsche waren auch verschwunden. Verdutzt starrten Mama und Tom auf den neuen Wirtschaftsweg, der schnurgerade und langweilig zum Kramerhof führte, vorbei an weit ausladenden, eintönigen Mais- und Rapsfeldern. Tom war den Tränen nahe. Was war geschehen? Fragend sah er Mama an. Die seufzte.

„Wir waren schon lange nicht mehr hier gewesen“, sagte sie. „Ich glaube, den Kramerhof gibt es so, wie wir ihn kennen, nicht mehr. Das Schild „Zum Hofladen“ ist auch nicht mehr da.“

„Und wo hat der Wiedehopf nun sein Nest?“ „Die Vögel sind an einen anderen Ort geflohen, wo sie noch Futter und Plätze für ihre Nester finden“, tröstete Mama.

„Warum, Mama?“, fragte Tom. Mama seufzte wieder. „Ich vermute, die Leute vom Kramerhof haben ihre Wirtschaft umgestellt.“ Sie pflückte eine Rapsblüte und drehte sie in den Fingern. „,Landwirtschaft zur Energiegewinnung’ nennt man es. Nur so können viele Höfe heute noch überleben.“

Sie überlegte, dann sagte sie: „Komm, wir suchen uns einen anderen Hof mit Hofladen.“ „Ja“, sagte Tom. „Fliehen wir. Wie der Wiedehopf und die anderen Tiere auch.“ 

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