Geschichte Festmahl für Igel, Spatz und Hase

Am Tomatenstrauch von Onkel Hubert hängt eine Riesentomaten. Doch er bringt es nicht übers Herz, sie zu ernten.

Eine riesig große Tomate wuchs an einem Strauch in Onkel Huberts Garten. Vielleicht war es eine Fee, die die Blüte verzaubert hatte, aber so genau konnte er das nicht sagen. Es war nur so, dass die Riesentomate auf einmal wuchs und immer größer wurde, während ihre Tomatengeschwister klein blieben und verkümmerten. Längst hatten die Zweige des Tomatenstrauches nicht mehr die Kraft, ihre Triebe mit den kleineren Früchten und den Blüten himmelwärts zu richten. Das Gewicht der riesigen Riesentomate war zu groß und drückte sie zu Boden. Sie konnten nur noch mit Stöcken und Schnüren aufrecht gehalten werden. Die Tomate machte sich nichts daraus. Sie wurde größer und dicker. „Toll!“, sagte Onkel Hubert. „Was für ein prächtiges Exemplar!“

„Toll!“, sagten auch die Nachbarn. „Eine Riesensupertomate!“ Sie fragten Onkel Hubert, was er nach der Ernte mit ihr machen würde. „Essen“, sagte Onkel Hubert und lachte. Die Nachbarn schrien auf. „Du kannst diese Supertomate nicht einfach aufessen. Das hat sie nicht verdient.“ Nachdenklich stand Onkel Hubert vor dem Tomatenstrauch und sah der Tomate beim Wachsen zu. Sie wuchs weiter und weiter. Zart färbten sich ihre Wangen orangefarben, dann rot und immer röter. Zart wuchsen Onkel Huberts Zweifel erst ein bisschen, dann mehr. Er würde es nicht übers Herz bringen, die Tomate aufzuessen. Auch nicht aufschneiden und einkochen würde er sie. Er würde ihre glänzende Haut nicht mit dem Messer verletzen.

Es kam der Tag, an dem die Riesentomate reif war. Stunde um Stunde neigte sie ihren Kopf dem Boden zu. „Du musst sie ernten, Onkel Hubert!“, sagten die Nachbarn, die ihre Köpfe neugierig über den Gartenzaun reckten und der Tomate beim Wachsen und Reifen zusahen. „Ich kann nicht!“, antwortete Onkel Hubert. „Wenn ich dieses Wundergeschöpf ernte, nehme ich ihr den Lebenssaft und sie wird sterben.“ Die Nachbarn wunderten sich. „Du wolltest sie doch aufessen.“, sagten sie. „Nein, ich bringe es nicht übers Herz!“, antwortete Onkel Hubert. „Aber bitte! Wenn einer von euch die Kraft hat, dieses herrliche Wunder vom Strauch zu reißen, so möge er es tun. Ich schenke ihm diese tomatenrote Schöpfung.“ Onkel Hubert wollte die Riesentomate verschenken? „Tut, was ihr tun möchtet!“, sagte er und musste so sehr gegen die Tränen kämpfen, dass er sich abwandte und ins Haus ging.

Erst drei Tage später wagte er es, den Gemüsegarten wieder zu betreten. Zögernd ging er zu den Tomatensträuchern hinüber. Viele kleine glänzend rote Tomatenfrüchte warteten schon auf ihn. Sie wollten geerntet werden. Aber Onkel Hubert hatte nur einen Blick für die Riesentomate. Sie war noch da. Keiner der Nachbarn hatte sie zu pflücken gewagt. Nun lag sie am Boden, ihre Haut war von Rissen und Löchern durchzogen, der Igel und die Gartenmäuse hatten ihre Zähne in das Fruchtfleisch gegraben, ein Spatz pickte an einem schnabelgroßen Tomatenstück, Ameisen krabbelten in den Resten ihres Fruchtkörpers, Wespen und Mücken saßen auf ihrem Rücken und aßen sich satt, eine Schnecke knabberte an ihrem grünen Strunk. Onkel Hubert war erleichtert. „So soll es sein!“, sagte er. „Lasst es euch schmecken!“ Er lächelte, dann wandte er sich um und erntete die kleinen, rot glänzenden Tomaten.

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