Kinderuni Kann ein Atom überall gleichzeitig sein?

Saarbrücken · Ist der Mond auch da, wenn man gerade mal nicht hinschaut? Dieser Frage geht der Physikprofessor Christoph Becher in seinem Kinderuni-Vortag nach.

 Professor Christoph Becher wird in seiner Kinderuni-Vorlesung erklären, was Quantenphysik mit unserem Alltag zu tun hat.

Professor Christoph Becher wird in seiner Kinderuni-Vorlesung erklären, was Quantenphysik mit unserem Alltag zu tun hat.

Foto: Iris Maria Maurer

Wieso können winzig kleine Atome scheinbar an mehreren Orten gleichzeitig sein? Professor Christoph Becher von der Saar-Uni gibt in seinem Kinderuni-Vortrag die Antwort darauf. In unserer Alltagswelt ist es für uns selbstverständlich, dass ein Objekt unveränderbare Eigenschaften besitzt. Legt man zum Beispiel einen Fußball auf den Elfmeterpunkt, so kennen wir seinen Ort auf dem Spielfeld. Wird der Ball geschossen, dann weiß man, dass er sich mit einer bestimmten Geschwindigkeit auf das Tor zubewegt und dort an einer vorher zu berechnenden Stelle ankommt. „Das ist etwas, was wir in unserem Leben grundsätzlich kennen und deshalb als selbstverständlich annehmen. In der Quantenphysik gilt das dagegen nicht mehr“, erklärt Becher.

Schießen wir statt eines Balles ein Atom mit den gleichen Startbedingungen auf einen Sensor, trifft es stets an einem anderen Ort auf. Jede Messung führt zu einem anderen Ergebnis. Erst wenn dieser Vorgang sehr oft wiederholt wird, zeichnet sich ein Ergebnis ab, das dem entspricht, was in einer „normalen“ Welt zu erwarten ist.

Quantenphysiker können viele Ergebnisse ihrer Experimente also nicht sicher vorhersagen. Sie wissen zum Beispiel nicht, auf welchen Punkt ihres Sensors das Atom beim nächsten Versuch treffen wird. Sie können nur sagen, welche Orte möglich sind und mit welcher Wahrscheinlichkeit man ein Atom dort findet, erklärt Physikprofessor Christoph Becher.

Das klingt erst einmal seltsam. Aber beim Würfeln ist es genauso. Vor dem Wurf weiß niemand, ob eine Eins oder eine Sechs kommt, beide Augenzahlen sind gleich wahrscheinlich. Das Ergebnis steht erst fest, wenn der Würfel gefallen ist. In der Quantenphysik ist es auch so. Wissenschaftler kennen die Möglichkeiten schon vorher – das Ergebnis aber erst, wenn sie genau hingeschaut haben. In seinem Vortrag fragt Christoph Becher: „Ist der Mond auch da, wenn man nicht hinschaut?“ Die Frage erscheine abwegig, weil der Mond das größte Objekt ist, dass Menschen sich anschauen können. Die Kluft zwischen ihm und Atomen, die wir nicht sehen können, ist riesig.

In seinem Vortrag macht Christoph Becher mit seinen Besuchern auch sogenannte Gedanken-Experimente. Die Wissenschaftler überlegen sich eine Situation, die in der Realität so nicht oder nur schwer nachzustellen ist: „Dabei darf ich alles tun und annehmen, aber keine physikalischen Gesetze verletzen“, erklärt der Dozent. Ein Beispiel: Eine Person läuft mehrfach immer mit derselben Geschwindigkeit zu einer vorgegebenen Zeit aus derselben Richtung geraudeaus in den Hörsaal und nimmt Platz. Das Ergebnis: Sie sitzt immer an derselben Stelle. Das ist so, wie der Fußball am Elfmeterpunkt.

Stellen wir uns diese Person als ein Atom vor, würde sie jedes Mal woanders sitzen. Dort, wo man es erwartet hätte, in der Mitte des Saals, aber manchmal auch woanders, zum Beispiel auch in den Ecken. So demonstrieren Quantenphysiker, dass „das Atom an jeder Stelle im Raum gleichzeitig sein kann“.

Mittlerweile machen sich viele Wissenschaftler Gedanken darüber, wie sich solche Gedankenspiele aus der Quantenwelt im Alltag nutzen lassen. Eine Idee dazu ist der Quantencomputer. In einem Computer kann eine Speicherzelle nur ein- oder ausgeschaltet werden, sie hat den Wert 0 oder 1. Die Speicherzellen eines Quantencomputers können nicht nur den Wert 0 oder 1 haben, sondern beide Werte zugleich, alle dazwischen und das sogar gleichzeitig. Wenn solche Maschinen eines Tages richtig gut funktionieren, könnten sie große Datenmengen verarbeiten.

Zudem lädt der Dozent die Kinderuni-Studenten virtuell in seine Labore ein: „Hier arbeiten wir tatsächlich mit einzelnen Atomen.“ Deren Eigenschaften können die Forscher beliebig verändern und die Atome in eine Situation bringen, in der sie tatsächlich in mehreren Zuständen gleichzeitig sind.

Um zum Mond zurückzukommen: Hier stellt sich wie für jedes Objekt die Frage, ob er da ist, wenn ihn keiner beobachtet hat. Der Mond habe jedoch eine besondere Eigenschaft und deshalb ist es sicher, dass er existiert, wenn ihn gerade keiner anschaut: „Das hängt damit zusammen, das er sich auch noch anders bemerkbar macht“, sagt Becher. Zum Beispiel außer mit seinem Licht auch mit den Gezeiten, also der Ebbe und der Flut, die er verursacht. „Das zerstört tatsächlich jeden Quanteneffekt – die Möglichkeit, dass er gleichzeitig da und nicht da ist“, erklärt Becher.

Die Grenze zwischen der Welt der Atome und der Himmelskörper ist fließend. Sie hängt davon ab, wie stark sich ein Objekt seiner Umgebung mitteilt. So könnten die Forscher ein Atom sehr gut isolieren, während der Mond in ständiger Wechselwirkung zur Erde steht.

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