Kinder und Smartphones Der schädliche Sog der digitalen Medien

Saarbrücken · Forscher warnen: Wenn Kinder zu viel Zeit mit Smartphone oder Tablet verbringen, zieht das Probleme nach sich.

 Kaum ein Kind kommt heutzutage ohne Smartphone oder Tablet aus. Die Reizüberflutung hat jedoch ihre Nachteile.

Kaum ein Kind kommt heutzutage ohne Smartphone oder Tablet aus. Die Reizüberflutung hat jedoch ihre Nachteile.

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Nach Kindern und Jugendlichen, die ohne ­Smartphone oder Tablet-Computer auskommen, sucht man im Jahr 2019 lange. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung des Leipziger Zentrums zur Erforschung von Zivilisationskrankheiten. Die Wissenschaftler nehmen die Mediennutzung von Minderjährigen in einem Forschungsprojekt seit sieben Jahren unter die Lupe. Bereits 25 Prozent der Grundschüler besäßen ein Smartphone, bei den Jugendlichen ab 14 Jahren seien es sogar 100 Prozent, erklärt Projektleiter Wieland Kiess. Das Smartphone sei jedoch längst nicht das einzige digitale Utensil, das die jungen Menschen nutzten, berichtet der Forscher. Im Schnitt habe jedes Kind drei bis vier unterschiedliche Geräte, mit denen es sich ausgiebig beschäftige. Vier bis fünf Stunden Bildschirmzeit seien pro Tag üblich, erklärt Kiess.

Das führe insbesondere in der Schule zu Problemen. Die Kinder hätten mit Lernschwierigkeiten zu kämpfen und würden schlechtere Ergebnisse abliefern, vor allem in Mathematik, sagen die Wissenschaftler. Den Grund vermutet Projektmitarbeiterin Tanja Poulain unter anderem darin, dass die jungen Menschen weniger und schlechter schliefen, was wiederum ihre Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeitsspanne senke. Zudem zeigten viele junge Nutzer ein suchtähnliches Verhalten. Ihre Gedanken im Unterricht kreisten ständig um die Inhalte auf ihrem Handy. „Viele Kinder und Jugendliche können sich nicht mehr auf eine Sache konzentrieren, weil sie sich an die digitale Reizüberflutung gewöhnt haben. Im Internet stoßen sie ja immer und überall auf neue Informationen“, erklärt Poulain. Schon im vergangenen Jahr haben die Forscher herausgefunden, dass Kinder im Vorschulalter, die täglich vor dem Computer oder am Smartphone sitzen, verhaltensauffälliger und unaufmerksamer sind. Sie würden auch öfter Symptome von Hyperaktivität zeigen.

Warum die Schüler ausgerechnet Schwierigkeiten in Mathe haben, erklärt Poulain so: „Bei den Kindern und Jugendlichen, die täglich mehrere Stunden vor dem Bildschirm verbringen, also viel im zweidimensionalen Raum unterwegs sind, ist womöglich das räumliche Vorstellungsvermögen erheblich beeinträchtigt. Abstraktes Denken fällt ihnen zunehmend schwerer.“ Die Mathematik sei aber nicht das einzige Schulfach, mit dem die junge Generation zu kämpfen habe. Für den Deutschunterricht sei die Projektgruppe zu ähnlichen Ergebnissen gekommen, jedoch nicht in diesem Ausmaß, sagt Poulain.

Die Schuld trifft nach Ansicht der Forscher auch die Eltern. Sie ließen ihren Nachwuchs mit der digitalen Technik weitestgehend alleine und erklärten ihm nicht, wie er damit richtig umgehen sollte. Außerdem verbrächten die Erwachsenen oft selbst zu viel Zeit im Internet. Das sieht die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ähnlich. Sie hat herausgefunden, dass 270 000 Kinder und Jugendliche zwischen zwölf und 17 Jahren ein problematisches Verhältnis zum Internet und zu Computerspielen aufweisen. Es liege an den Eltern, dafür zu sorgen, dass ihre Kinder die digitalen Medien richtig nutzten, sagt die Behörde.

Dass viele Eltern allerdings selbst Probleme damit haben, verantwortungsbewusst mit dem Internet umzugehen, hat eine Untersuchung der Universität Köln und des Kinderhilfswerkes im vergangenen Jahr ergeben. Die Wissenschaftler haben festgestellt, dass viele Eltern zu leichtfertig mit den Daten ihrer Kinder umgehen. Beispielsweise veröffentlichten sie ungefragt Fotos der Kinder in den sozialen Netzwerken. Die Sozialpädagogin Nadia Kutscher kam zu dem Ergebnis, dass Eltern zwar die Daten ihrer Kinder schützen wollten, aber meist selbst nicht genug über die digitale Welt wüssten. Die Erwachsenen fühlten sich unsicher, oft sogar hilf- und machtlos, sagt Kutscher.

Wie viel Zeit sollten Kinder und Jugendliche also pro Tag mit digitalen Medien verbringen? „Kinder zwischen zwei und sechs Jahren sollten nicht mehr als eine halbe Stunde vor dem Bildschirm verbringen, Grundschüler eine Stunde, für Jugendliche sind maximal zwei Stunden in Ordnung“, rät Poulain. Eltern müssten in jedem Fall Grenzen setzen und sichergehen, dass sich ihr Nachwuchs an die Regeln halte. Beispielsweise könnten Eltern ein Handyverbot am Esstisch, vor dem Schlafengehen oder bei Familienausflügen einführen. „Daran müssen sie sich allerdings auch unbedingt selbst halten. Es ist wichtig, dass sich Eltern ihrer Vorbildfunktion bewusst sind“, erklärt Poulain.

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