Wenn Maschinen Meinung machen

Saarbrücken · Social Bots sind kleine Programme, die als gefälschtes Nutzerkonto ihr Unwesen in sozialen Netzwerken treiben. Sie erzählen Witze oder reden übers Wetter wie ganz normale Menschen auch. Und sie sind gefährlich. Denn mit ihrer Hilfe können Interessengruppen Trends in sozialen Netzwerken setzen – und so Politik und Wirtschaft in großem Stil beeinflussen.

 Mensch oder Roboter? In sozialen Netzwerken fällt diese Unterscheidung manchmal schwer. Foto: Fotolia

Mensch oder Roboter? In sozialen Netzwerken fällt diese Unterscheidung manchmal schwer. Foto: Fotolia

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Er heißt Trainspotter001 und ist seit zwei Jahren bei Twitter . Sein Profilbild zeigt einen karibischen Strand, jeden Tag postet er etwa 20 Beiträge. Meist geht es dabei um Flüchtlingspolitik, und meist sind die Posts rassistischen Inhalts, verpackt in Hashtags wie #luegenpresse, #arrestmerkel, #whitegenocide oder #refugeesnotwelcome. Zurzeit betreibt er intensiv Wahlkampf für den US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump und zwitschert gezielt gegen dessen Konkurrenten Bernie Sanders. Insgesamt hat er schon 15 000 Tweets verfasst.

Trainspotter001 ist kein Mensch, sondern eine Maschine, ein sogenannter Social Bot. Das sind Computerprogramme, die ihr Unwesen in sozialen Netzwerken treiben.

Die Programme tarnen sich als Nutzerkonten in Twitter , Insta-gram und Facebook und sehen echten Profilen zum Verwechseln ähnlich. Und sie verbreiten automatisch Nachrichten, die kaum von den echten Postings zu unterscheiden sind.

Jedes fünfte Konto ist ein Bot

Hinter 20 Prozent aller Twitter-Konten und hinter zehn Prozent aller Facebook-Konten verbergen sich Social Bots, schätzt Simon Hegelich, Professor für Political Data Science an der Technischen Universität München. Hinter ihnen stecken häufig Interessengruppen: Wirtschaftsunternehmen, politische Bewegungen, Terrororganisationen, Regierungen oder Geheimdienste. So kann Meinung gemacht und Diskussion gesteuert, geworben und überwacht werden.

Häufig sei es schwierig, die Hintermänner zu ermitteln. Hinter Trainspotter001 verberge sich vermutlich die rassistische US-Bewegung White Power, sagt Hegelich. "Die große Gefahr ist nicht, dass jemand diese Nachrichten liest und dann zum Faschisten wird." Wirklich bedrohlich sei, dass sich damit Internet-Trends steuern lassen. Denn nicht nur die Börse und Unternehmen reagieren empfindlich auf Trendanalysen, auch klassische Medien und Politiker setzen immer mehr darauf, die Stimmung im Internet systematisch auszuwerten. Welcher Beitrag wurde wie oft geteilt, welche Inhalte bekamen wie viele Likes? "In der Pegida- und Flüchtlingsdebatte im Internet sehen wir sehr viele Hinweise, dass dort gezielt Social Bots im Einsatz sind", sagt Hegelich.

Auf den Willkommens-Taumel in Deutschland folgten die Hass-Botschaften. Plötzlich, so hieß es, sei die Stimmung im Land gekippt. "Reagieren Politiker auf die Stimmung in sozialen Netzwerken, dann liegen sie vermutlich daneben", sagt Hegelich. "Wir gehen davon aus, dass diese Trends alle massiv manipuliert sind."

Allzu leicht und kostengünstig sei es, Klickzahlen, Follower und Gefällt-mir-Angaben mithilfe von Bots zu beeinflussen. 10 000 Twitter-Follower kosten auf der russischen Webseite buyaccs.com rund 450 Dollar, 7000 neue Facebook-Freunde sind dort für 280 Dollar zu haben. Ganz legal sei das sicher nicht, sagt Hegelich. Die Nachfrage sei offenbar dennoch groß: "Überall, wo man in sozialen Netzwerken genau hinschaut, sind Bots unterwegs." So stellte Hegelich fest, dass 14 bis 44 Prozent der Nutzerprofile, die Schweizer Parteien auf Twitter folgten, inaktiv waren. Das beweise noch nicht, dass sie Bots sind, es sei aber sehr wahrscheinlich. "Wir sind auch ziemlich sicher, dass Bots auf der Facebook-Seite der CSU ausländerfeindliche Kommentare posten", sagt er. Hinweise auf Social Bots könnten sein, dass sie rund um die Uhr posten oder ihnen kaum echte Nutzer folgen. Auch wenn verschiedene Anwender immer wieder dieselbe Botschaft in sozialen Netzwerken hinterlassen, könne dies auf Social Bots hindeuten.

Einen Bot selber zu basteln ist relativ simpel, wenige Zeilen Programmiercode genügen. Wem das zu kompliziert ist, der kann den fertigen Bot auch im Netz herunterladen.

Meist werde aber gleich eine ganze Armee gefälschter Nutzerkonten eingesetzt, sagt Simon Hegelich. Seit zwei Jahren beobachtet er eine Bot-Armee aus der Ukraine. Sie schießt gezielt politische Botschaften der ultranationalistischen Organisation "Rechter Sektor" ins Netz: Mit über 15 000 gefälschten Twitter-Konten produziert das Netzwerk etwa 60 000 Meldungen am Tag.

Das von der Bundesregierung geförderte Forschungsprojekt "Social Media Forensics", das Hegelich leitet, entwickelt Algorithmen, die solche Bot-Netzwerke systematisch entlarven sollen.

Immer menschlichere Züge

Ein äußerst schwieriges Unterfangen. Denn die Bots nehmen immer menschlichere Züge an. "Meistens erzählen sie Witze oder posten übers Wetter - das heißt, sie sind die meiste Zeit damit beschäftigt, sich als normale Nutzer zu tarnen."

Doch nicht alle Bots sind schädlich. Manchmal kämpfen sie auch für hehre Ziele. So war 2010 ein umweltfreundlicher Bot auf Twitter unterwegs. Jedem, der in Twitter-Beiträgen den Klimawandel leugnete, schickte er Links zu Studien zur globalen Erwärmung. Twitter hat das Konto mittlerweile gesperrt.

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