Spähsoftware Weitere Verfassungsbeschwerde gegen „Staatstrojaner“ eingereicht

Berlin/Karlsruhe · Vor einem Jahr wurde der gesetzliche Weg für den Einsatz der Spähsoftware freigemacht. Bürgerrechtler sehen darin eine Verletzung der Grundrechte.

 Der türkische Journalist Can Dündar

Der türkische Journalist Can Dündar

Foto: dpa/Arne Dedert

Ein Jahr nach der Legalisierung des Einsatzes sogenannter Staatstrojaner in der Verbrechensbekämpfung hat die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde gegen einen massenhaften Einsatz der Spähsoftware eingelegt. Unter den fünf Beschwerdeführern sind unter anderem der in Deutschland im Exil lebende türkische Journalist Can Dündar, der ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt und der Grünen-Politiker Konstantin von Notz. Sie verlangen vom Staat, Sicherheitslücken in IT-Systemen zu beseitigen, statt sie für die Strafverfolgung auszunutzen. Anfang August hatten bereits Datenschützer um den Verein Digitalcourage Verfassungsklage in Karlsruhe eingereicht. Außerdem klagen FDP-Politiker gegen den Staatstrojaner.

Seit Sommer 2017 dürfen Ermittler zur Aufklärung vieler Straftaten nicht nur Telefone abhören, sondern auch Informationen auf Computern und Smartphones mitlesen. Dafür installieren sie unbemerkt vom Nutzer eine Spionage-Software auf dessen Handy. Vorher waren solche Maßnahmen nur zur Terrorabwehr erlaubt. In diesem Jahr könnte nach GFF-Berechnungen theoretisch in 30 000 bis 40 000 Fällen ein Staatstrojaner eingesetzt werden, in denen eine klassische Telefonüberwachung gerichtlich erlaubt ist.

„Die Online-Durchsuchung ist der schwerste Eingriff in die Privatsphäre im Ermittlungsverfahren, den es je gegeben hat. Sie darf, wenn überhaupt, nur in ganz besonderen Ausnahmefällen eingesetzt werden“, sagte der GFF-Vorsitzende Ulf Buermeyer. „Das ist derzeit nicht gewährleistet.“

„Wenn Trojaner massenhaft für Online-Durchsuchungen eingesetzt werden dürfen, schafft das für Ermittler einen starken Anreiz, Sicherheitslücken in IT-System geheim zu halten und aus taktischen Gründen nicht zu schließen“, sagte Buermeyer. So habe beispielsweise der WannaCry-Trojaner (ein Schadprogramm für Windows) 2017 große Schäden angerichtet und Teile des britischen Gesundheitssystems lahmgelegt. Die entsprechende Sicherheitslücke sei dem US-Geheimdienst NSA schon seit Jahren bekannt gewesen und hätte geschlossen werden können. „Nur um einige Kriminelle zu hacken, dürfen nicht Millionen einem hohen Sicherheitsrisiko ausgesetzt werden“, sagte Buermeyer. Zum Zeitpunkt der WannaCry-Attacke gab es zwar Updates, die die Lücke schlossen, aber viele Anwender hatten diese nicht installiert.

Der Hamburger Strafverteidiger Gerhard Strate, der die Beschwerdeschrift formuliert hatte, sagte, es gebe Schutzpflichten des Staates, die durch die Regelungen zum Staatstrojaner massiv verletzt würden. Der türkische Journalist Can Dündar sagte, Firmen wie Apple bräuchten Hinweise auf Schwachstellen, damit die Sicherheitslücken geschlossen werden und nicht für Abhörmaßnahmen ausgenutzt werden könnten. „Ich beteilige mich an der Verfassungsbeschwerde, damit die deutsche Bundesregierung wieder eine führende Rolle in Sachen IT-Sicherheit einnehmen wird“, sagte Dündar. Die vor drei Jahren gegründete GFF koordiniert gerichtliche Verfahren, wenn sie Grund- und Menschenrechte von staatlicher Seite aus verletzt sieht.

(dpa)
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