Umgang mit Retouren Vom Verkaufstisch auf den Schrotthaufen

München · Online-Händler wie Amazon stehen in der Kritik, zurückgeschickte Neuware massenhaft zu vernichten.

 Online-Händler haben mit einer extrem hohen Zahl an Rücksendungen zu kämpfen.

Online-Händler haben mit einer extrem hohen Zahl an Rücksendungen zu kämpfen.

Foto: dpa/Swen Pförtner

(dpa/SZ) Bestellen, anprobieren oder austesten, und wieder zurück damit: Deutsche Internetkäufer schicken pro Jahr Hunderte Millionen Pakete an Amazon, Otto, Zalando und Co. zurück. Wie gehen die Online-Riesen mit dieser Flut an Rücksendungen um? Insbesondere Amazon ist kürzlich massiv in die Kritik geraten. Laut eines Berichts von ZDF und „Wirtschaftswoche“ kritisierten mehrere Amazon-Mitarbeiter, dass in den deutschen Warenlagern täglich zahllose funktionstüchtige, teils sogar neue Produkte zerstört würden.

Nach Angaben des Bundesverband E-Commerce und Versandhandel verschickten die deutschen Online-Händler im vergangenen Jahr Waren im Wert von 58 Milliarden Euro an ihre Kundschaft. Die Zahl der Kurier-, Express- und Paketsendungen hat schwindel­erregende Ausmaße angenommen: Im Jahr 2015 seien es knapp drei Milliarden Sendungen gewesen, schätzte die Unternehmensberatung MRU in einer Studie für die Bundesnetzagentur.

Und wie viele Pakete schicken die Kunden zurück? An der Universität Bamberg gibt es eine Arbeitsgruppe Retourenforschung, die für das Jahr 2013 von 250 Millionen Retouren ausging, eine neuere Schätzung gibt es noch nicht. Da der Online-Handel in den vergangenen fünf Jahren stark zugelegt hat, gehen die Experten dementsprechend davon aus, dass auch die Zahl der Rücksendungen erheblich zugenommen hat. Das sagt Björn Asdecker, einer der Bamberger Retourenforscher.

Branchenunübliche Transparenz praktiziert das Online-Modehaus Zalando. Das Berliner Unternehmen hat 300 000 Artikel von 2000 verschiedenen Marken im Sortiment und verschickte im Vorjahr über 90 Millionen Sendungen in 15 europäische Länder. Bekleidung und Schuhe werden besonders häufig zurückgeschickt: Die durchschnittliche Retourenquote liege bei 50 Prozent, sagt eine Sprecherin. Für den Mode-Handel sei dieser hohe Anteil allerdings „normal“. Denn wer Kleidung, Schuhe und Accessoires im Netz vertreibt, müsse sich auf eine Retourenquote von 40 bis 60 Prozent gefasst machen, berichtet auch das Handelsinstitut EHI aus Köln.

Obgleich Retouren eine teure Angelegenheit für Online-Händler sind, sehen sie keinen Grund, etwas zu ändern. Im Gegenteil: Zalando etwa bietet gar 100 Tage Rückgaberecht statt der üblichen zwei Wochen. Für eine Rücksendung werden laut dem Handelsinstitut EHI in Köln im Schnitt zehn Euro fällig. Aufwendig und kostspielig seien vor allem die Prüfung, Sichtung und Qualitätskontrolle der aussortierten Waren. Hinzu kämen unter anderem die Porto- und Versandkosten, die 72 Prozent der Händler für ihre Kunden übernähmen.

Der Großteil der Ware komme unbeschädigt zurück und werde wieder verkauft, sagt ein Zalando-Sprecher. Leicht beschädigte Artikel würden billiger abgegeben, manches gespendet. „Zalando vernichtet Waren nur in Ausnahmefällen, wenn dies aus gesundheitlichen Gründen, Schädlingsbefall, Schadstoffbelastung oder ähnliches notwendig ist. Dies betrifft etwa 0,05 Prozent aller Artikel“.

Amazon und Otto nennen keine Zahlen, doch betonen beide Unternehmen, dass retournierte Ware nur in Ausnahmefällen vernichtet werde. „Alle Waren werden in so genannten Retourenbetrieben sorgfältig geprüft. Die ganz große Mehrheit der Waren kann sofort wieder zum Verkauf gestellt werden“, heißt es dazu bei Otto. „Ein kleiner Teil der Waren muss optisch aufbereitet werden und wird dann ebenfalls zum Verkauf gestellt.“ Ein „ganz geringer Prozentteil“ der Retouren könne nicht mehr in einen neuwertigen Zustand versetzt werden, erklärt ein Otto-Sprecher.

Sowohl Otto als auch Amazon verkauften derlei beschädigte Ware nach eigenen Angaben an Verwertungsfirmen, die die Ware dann auf eigene Rechnung weiter vertreiben. Amazon habe mehrere Programme, um die Zahl der entsorgten Produkte zu reduzieren. So würden Retouren günstiger weiterverkauft, an gemeinnützige Organisationen gespendet, recycelt oder an Aufkäufer veräußert.

Der Online-Gigant Amazon verkauft allerdings nicht nur auf eigene Rechnung, sondern tritt auch als Lager- und Versand-Dienstleister für viele kleinere Internet-Händler auf. Eine dieser Dienstleistungen ist die Entsorgung. Fragen zum diesbezüglichen Prozedere beantwortete Amazon lediglich mit einem allgemeinen Bekenntnis zur Müllvermeidung.

So bleibt mangels verlässlicher Daten unklar, wie viel beschädigte oder retournierte Ware tatsächlich entsorgt wird. Legt man die von Zalando angegebene sehr niedrige Entsorgungsquote von 0,05 Prozent der Artikel als Basis einer Schätzung für die ganze Branche zugrunde, würde das bedeuten, dass europaweit bei einer zweistelligen Milliardenzahl von Sendungen alljährlich mehrere Millionen Artikel entsorgt werden. Mindestens.

(dpa)
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