„Viele Eltern warten viel zu lange“

Homburg · Das Thema Bettnässen ist ein Tabu. Kinder leiden darunter, Eltern schweigen darüber meist aus Scham. Sie wissen deshalb meist nichts von den oft harmlosen Ursachen dieses Leidens – und sind überrascht, wie einfach das Problem in den meisten Fällen zu lösen ist.

 Bis zu 300 junge Patienten kommen in jedem Jahr in die Ausscheidungsambulanz der Homburger Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Sie werden dort unter anderem von der Ärztin Catharina Wagner (Foto) betreut. Foto: Maurer

Bis zu 300 junge Patienten kommen in jedem Jahr in die Ausscheidungsambulanz der Homburger Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Sie werden dort unter anderem von der Ärztin Catharina Wagner (Foto) betreut. Foto: Maurer

Foto: Maurer

"Bettnässer" - dieses Schimpfwort trieft vor Verachtung. Es ist die maximal mögliche Beleidigung eines Menschen, dem damit jedwede geistige Reife abgesprochen und ein ganzes Bündel psychischer Probleme aus Kindertagen unterstellt wird. Es verrät aber auch allerhand über ein Vorurteil, das sich allen wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Trotz hartnäckig hält. Bei einem Kind, das nachts ins Bett macht, könne ja wohl nicht alles in Ordnung und bei seiner Erziehung müsse mithin so manches in die Hose gegangen sein.

Tatsächlich, so Professor Alexander von Gontard und Catharina Wagner von der Ausscheidungsambulanz der Uniklinik Homburg , hat die Enuresis , so der Fachausdruck fürs nächtliche Bettnässen im Kindesalter, in drei Viertel aller Fälle nichts mit psychischen Problemen zu tun. Die Ursache liege in einem verzögerten Reifungsprozess des Nervensystems. Und der sei meist genetisch bedingt, so die beiden Ärzte. Das bedeutet aber auch: "In zwei Drittel der Familien gibt es weitere betroffene Angehörige." Doch darüber wird nicht gesprochen. Weil dieses Thema oft als tabu gilt, wüssten häufig auch viele Familienmitglieder nichts von betroffenen Verwandten - und auch nicht, wie verbreitet das Problem eigentlich ist.

Tatsächlich gilt Bettnässen nach den Allergien als zweithäufigste Störung im Kindesalter. Statistisch sitzen in jeder ersten Klasse einer Schule drei Kinder, die nachts das Bett nässen. Unter Siebenjährigen, so der Kinderpsychiater von Gontard, gelten zehn Prozent der Jungen und sieben Prozent der Mädchen als betroffen. Sie schämten sich heftig, vermieden Übernachtungen bei Freunden, ihr Selbstwertgefühl leide. 200 bis 300 Kinder kommen jedes Jahr mit ihren Eltern zur Ausscheidungsambulanz der Homburger Uni-Klinik, so von Gontard. "Viele Eltern warten damit viel zu lange." Das Gros der jungen Patienten sei zwischen sechs und zehn Jahre alt. Die Kinder leiden, die Eltern haben Schuldgefühle, "vor allem die Mütter". Dabei lasse sich das Problem, wenn die Ursache erst einmal exakt diagnostiziert ist, meist binnen einiger Wochen lösen. Sobald ihr Kind fünf Jahre alt ist könnten Eltern medizinische Hilfe in Anspruch nehmen.

Dabei setzt die Ausscheidungsambulanz der Uni-Klinik, das größte Zentrum dieser Art im Südwesten Deutschlands, nun auf neue Technik. Catharina Wagner und die Informatiker Lukas Naumann und Professor Uwe Tronnier von der Hochschule Kaiserslautern haben eine Peasy genannte Smartphone-App entwickelt. Sie soll die Behandlung vereinfachen und bei Kindern die Bereitschaft zum Mitmachen fördern. Bei dieser Therapie geht's im Prinzip darum, bei Kindern das Bewusstsein für ihre natürlichen Bedürfnisse zu wecken. "Viele verdrängen sie einfach", so Catharina Wagner. Beim Toilettentraining, das bei der Behandlung im Mittelpunkt steht, sollen die jungen Patienten zum Beispiel tagsüber zum regelmäßigen Besuch der Waschräume animiert werden. "Siebenmal am Tag", laute die Devise. Für die Nacht gibt's technische Hilfsmittel wie ein Klingelgerät, das Alarm schlägt, sobald ein Sensor Feuchtigkeit im Schlafanzug feststellt.

Mit diesen einfachen Behandlungsverfahren gelinge es in drei Viertel aller Fälle binnen weniger Wochen nächtliche Bettnässer trockenzulegen. Doch dafür ist deren Mitarbeit unabdingbar. Täglich müssen Daten protokolliert, in Listen eingetragen und schließlich an den behandelnden Arzt gesandt werden. Das geschieht bisher in Papierform. "Viele Eltern und vor allem die Kinder empfanden dieses Verfahren als ätzend", so Catharina Wagner.

Die Peasy-App soll's einfacher machen und für Kinder attraktiver. Denn für eine regelmäßige Mitarbeit gibt's Punkte, die von den Eltern in ein individuelles Belohnungssystem umgemünzt werden können. Und auch die Klinik-Mitarbeiter profitieren von der Smartphone-Anwendung. Ihnen erspart die App den Aufwand, auf Papier erfasste Informationen in die Datenbanken eintippen zu müssen. Technisch wäre die Programmierung einer App wie Peasy simpel, so Uwe Tronnier und Lukas Naumann, wäre da nicht der Datenschutz, der im Krankenhaus sehr hohe Anforderungen stelle. In dem mit einem doppelten Passwortschutz gesicherten Handy seien die Daten sicher gespeichert, so Naumann, der mit dem Projekt seine Bachelorarbeit bestreitet.

Wenn Peasy Informationen mit den Servern des Uni-Klinikums austausche, seien diese Übertragungen nicht nur verschlüsselt, sondern zusätzlich auch anonymisiert. Erst im Computersystem der Klinik könnten sie wieder in Klartext verwandelt und so einem Patienten zugeordnet werden, so Tronnier. Die Informatiker aus Kaiserslautern sehen ihre App als Erweiterung der elektronischen Patientenakte und haben damit große Pläne. "Das ist der Einstieg in eine neue Form der Kommunikation zwischen Patient und Klinik", so Tronnier.

Weitere Infos gibt es bei der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, (0 68 41)

16-2 43 67 oder -2 42 33,

Mail: michaela.weber@uks.eu

heike.sambach@uks.eu

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