App für Jugendliche Gefährlicher Ruhm in 15 Sekunden

Saarbrücken · Auf der Plattform Tiktok erreichen Kinder mit selbst gedrehten Videos ein großes Publikum. Das birgt Risiken.

 Die 16 Jahre alten Zwillinge Lisa und Lena gehören mit über 30 Millionen Abonnenten zu den populärsten deutschen Tiktok-Nutzern.

Die 16 Jahre alten Zwillinge Lisa und Lena gehören mit über 30 Millionen Abonnenten zu den populärsten deutschen Tiktok-Nutzern.

Foto: Christian Charisius/dpa/Christian Charisius

So manche Eltern haben von diesen sechs Buchstaben noch nie etwas gehört oder denken dabei allenfalls an kleine Pfefferminzbonbons. Tatsächlich hat Tiktok (ehemals „musical.ly“) längst die Kinderzimmer erobert. Das soziale Netzwerk zum Austausch selbst gedrehter, 15 Sekunden langer Videoschnipsel ist vor allem bei ganz jungen Teenagern – und besonders bei Mädchen – derzeit eine der angesagtesten Plattformen. In Deutschland verwenden bereits vier Millionen Menschen den Dienst, weltweit soll die Nutzerzahl der App bei über 130 Millionen liegen. „Tiktok übernimmt die Welt“ titelte das amerikanische Nachrichtenportal „The Daily Dot“ im November 2018. Doch Medienpädagogen warnen vor diesem Trend: In vielen Videos seien Kinder und Jugendliche zu sehen, die nur leicht bekleidet aufträten. Zudem seien sie augenscheinlich oft jünger als 13 Jahre alt, obwohl die App offiziell erst ab diesem Alter erlaubt sei.

Auch Daniel Greitens (43), Geschäftsführer eines IT-Unternehmens und Vater zweier Töchter (9 und 11 Jahre) sieht dieses neue soziale Netzwerk kritisch. Auf Facebook veröffentlichte er einen alarmierenden Aufruf: „Liebe Eltern! Achtet auf Eure Kinder...Schützt sie vor TikTok!“. Der Nachwuchs lerne auf der Plattform lediglich, leicht bekleidet und anzüglich zu tanzen und setzte sich dem Mobbing anderer Nutzer aus, so Greitens.

Die Medien-Initiative „Schau hin! Was dein Kind mit Medien macht“ teilt die Bedenken des Familienvaters. „Den Kindern macht die Beschäftigung mit Musik, Tanzen, Kleidung einfach total Spaß“, sagt Medienberaterin Kristin Langer. „Aber damit treffen sie natürlich auch den Nerv von Menschen, die kriminelles oder pädophiles Potenzial haben.“ Kinder müssten bei Tiktok nicht nur ihre Telefonnummer und ihre E-Mail-Adresse angeben, sondern auch ihr Alter. Anhand dieser Informationen ließen sie sich von anderen Nutzern finden, sagt die Expertin. Auf Tiktok sei es Erwachsenen leider möglich, sich Kindern und Jugendlichen mit einer gefälschten Identität zu nähern und mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Dieses sogannte Cybergrooming (vom Englischen „to groom“: striegeln, vorbereiten) sei für die jungen Nutzer gefährlich, warnt Langer.

Sie rät Eltern, mit ihren Kindern Sicherheitsregeln zu vereinbaren, die festlegen, unter welchen Bedingungen diese App genutzt werden dürfe, und die Gefahren hinzuweisen. Wichtig sei zudem, das Profil in den „Privatmodus“ zu versetzen. So könnten nicht beliebige Nutzer auf die eigenen Videos zugreifen, sondern nur die, denen die Kinder diese Erlaubnis ausdrücklich geben.

Das allerdings widerspricht dem Gedanken des ursprünglich aus China stammenden Videoportals („Douyin“). Denn wie in anderen sozialen Netzwerken dreht sich auch bei Tiktok alles um die Anzahl der Fans genannten Abonnenten und möglichst viele Likes.

Langer empfiehlt Eltern, mit ihren Kindern darüber zu sprechen, wieviel diese von ihrer Privatsphäre preisgeben. Denn wer bei sich zu Hause filme, müsse bedenken, dass die Aufnahmen Hinweise auf die eigene Identität geben. Vielleicht sei ein Brief zu sehen, auf dem eine Adresse stehe, oder eine Urkunde an der Wand mit richtigem Namen. Die Nachricht der Eltern an ihre Kinder müsse lauten: „Ihr müsst vorsichtig sein, damit Ihr Euch nicht auffindbar macht“, so die Medienpädagogin. Es habe bereits Annäherungsversuche durch Zuschauer gegeben, die einen sexuellen Missbrauch geplant hätten. „Gerade jüngere Kinder sind schutzlos, deshalb ist es wichtig, ein Bewusstsein für Privatsphäre zu schaffen“, so Kristin Langer.

„Natürlich sind Eltern damit mal wieder der Spaßverderber“, räumt sie ein. Gerade bei Kindern in der Pubertät sei es daher wichtig, nicht nur Verbote auszusprechen, sondern klar zu machen, welche Sorgen man habe und zu argumentieren: „Ich habe eine Sorgfaltspflicht, und ich möchte nicht, dass dir etwas Schlimmes passiert.“ Dies verstünden Jugendliche in der Regel.

Darüber hinaus empfiehlt Langer Eltern, Kinder, die sich gerne vor einem Publikum präsentierten, dazu zu ermutigen, diese Erfahrung nicht nur in der digitalen Welt zu machen. Dazu gebe es auch im echten Leben, etwa in Theater- und Musical-AGs oder im Sport, viele Möglichkeiten.

Die Initiative „Schau hin“ lehnt die Verwendung von Tiktok nicht grundsätzlich ab. „Die kreative Nutzung der Mediengeräte befürworten wir, weil sich die Kinder über das eigene Tun Zusammenhänge erschließen und verstehen, wie Medien gemacht werden“, so Langer. Es helfe ihnen, zu lernen, wie man kleine Tricks anwende, die Beleuchtung nutze und sich vorteilhaft präsentiere. Dies übertrügen die jungen Nutzer auf die Sendungen, die sie sich im Internet oder im Fernsehen anschauten.

Daniel Greitens mag sich für TikTok dennoch nicht erwärmen. Das vom Betreiber erdachte Sicherheitskonzept finde er nicht überzeugend. „Meine persönliche Erfahrung war: Ich habe alle ‚Schutzmechanismen‘ aktiviert und trotzdem bekommen meine Mädels Hinweise auf ein Video, in dem sich ein Kerl auszieht“, schildert er. Deshalb habe er erneut mit seinen Töchtern über seine Bedenken gegenüber Tiktok gesprochen. Mit Erfolg: Die Mädchen hätten sich „sofort einsichtig gezeigt“ und die App von ihren Handys entfernt.

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