Mainz/Halle Soziale Arbeit im digitalen Zeitalter

Mainz/Halle · Es gibt eine neue Form des Freiwilligen Sozialen Jahres. Die jungen Helfer besuchen Schulen, Altenheime oder Krankenhäuser, um dort digitale Kompetenzen zu vermitteln. Das Projekt kommt offenbar gut an.

 Der freiwillige Helfer Fadi Hankir programmiert mit Realschülern in Mainz eine eigene App fürs Smartphone.

Der freiwillige Helfer Fadi Hankir programmiert mit Realschülern in Mainz eine eigene App fürs Smartphone.

Foto: dpa/Andreas Arnold

Jeder der 14 Computer-Bildschirme zeigt eine schwarze Kugel. „Das wird eine Wahrheitskugel. Wenn man draufklickt und ihr eine Frage stellt, antwortet sie“, erzählt der zwölfjährige Nelson Fay stolz. Durch die App, an der die Schüler basteln und die sie später auf ihr Handy laden, sollen sie auf spielerische Art das Programmieren lernen. Die Fünft- und Sechstklässler der „Realschule plus“ in Mainz sind begeistert. Geleitet wird die Arbeitsgruppe von Fadi Hankir. Der 20-Jährige absolviert ein sogenanntes Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) digital. Bundesweit ist das erst seit diesem Schuljahr möglich.

Beim FSJ digital arbeiten junge Menschen im Alter bis zu 26 Jahren in Schulen, Krankenhäusern, Sportvereinen oder Kulturinstitutionen mit. Für die Kurse besuchen sie im Vorfeld zusätzliche Fortbildungen, um dann ihr neu gewonnenes Wissen zu vermitteln.

Kindern, Senioren und Menschen mit Behinderungen „wird eine Tür zur Digitalisierung geöffnet“, heißt es beispielsweise beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) in Halle, das wie das Kulturbüro Rheinland-Pfalz in Lahnstein das FSJ digital organisiert. Mit dem Projekt solle die Kluft zwischen jüngeren und älteren Internetnutzern überbrückt werden, so das DRK.

Der Koordinator von FSJ digital in Lahnstein, Marten Gerdnun, ist stolz, dass auch der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung das Projekt erwähnt. Auch als Teil des Bundesfreiwilligendienstes soll es künftig angeboten werden. Das Bundesjugendministerium nennt den Herbst 2018 „als Start für die dafür notwendigen Fortbildungen“. Dafür solle zusätzliches Geld fließen. Dann könnten auch ältere Menschen mitmachen, sagt Gerdnun. Daneben bietet das DRK seit 2017 auch bundesweit entsprechende Fortbildungen für Organisationen an.

Das Bundesjugendministerium zieht eine positive Zwischenbilanz: „Es wurden technik-affine Jugendliche, vor allem auch männliche Jugendliche, erreicht, die sich nach bisherigen Erfahrungen von einem klassischen FSJ im sozialen Bereich bis dato eher unterdurchschnittlich angesprochen fühlten.“

Aber auch junge Frauen machen mit. Charlotte Kürsten hat sich nach ihrem Abitur im Rahmen ihres sogenannten FSJ Politik für 2016/2017 um ein Zusatzangebot FSJ digital beim Landtag Rheinland-Pfalz beworben. Sie schlug die Entwicklung einer virtuellen Tour durch das Parlament vor, wie sie auf der Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung erzählt. Das Projekt wurde akzeptiert und umgesetzt – bis heute lädt es Online-Besucher in den Mainzer Landtag ein. „Ich habe gelernt, an wie viele Dinge man selbst bei einem kleinen Projekt denken muss, wie man das zur Verfügung stehende Budget richtig einteilt und Angebote einholt“, sagt Kürsten. Außerdem habe sie festgestellt, wie wichtig Teamfähigkeit sei. Aufgrund dieser Erfahrungen begann Kürsten nach ihrem FSJ digital Geistes- und Sozialwissenschaften in Frankreich zu studieren.

„Viele sehen das FSJ digital als Orientierungsjahr“, erklärt Marten Gerdnun. „Sie schauen zum Beispiel, ob der Beruf als Lehrer für sie das Richtige ist.“ So sieht es auch Fadi Hankir. „Das ist eine wertvolle Erfahrung“, sagt er. „Ich will ja Informatik auf Lehramt studieren. Jetzt habe ich keine Angst mehr vor einem Praxisschock.“

Andere sammeln Erfahrungen mit älteren Menschen. In Sachsen-Anhalt zum Beispiel hat laut dem DRK der freiwillige Helfer Kai Böwe in einer mit dem Seniorenrat in Stendal organisierten Handysprechstunde Fragen rund um Smartphones beantwortet. Johann Georgi hat in einem Altenheim in Halle den Bewohnern gezeigt, wie sie mit ihren Kindern, Enkeln und Freunden „skypen“, also mit Bildübertragung telefonieren können. Und mit seinem Kollegen Marco Petersilge hat er mit einer digitalen Kampagne Geld für das professionelle Stimmen eines alten Klaviers im selben Seniorenheim gesammelt.

Reich wird man mit einem Freiwilligendienst nicht. Fadi Hankir in Mainz bekommt 350 Euro Taschengeld im Monat und muss daher am Wochenende noch jobben. Andere Projektträger zahlen ähnliche Summen. „Eigentlich arbeiten wir mit einer Bildungselite, denn wir schließen leider oft junge Menschen aus Problembezirken und mit niedriger Bildung aus, weil sie sich nicht finanzieren können“, so die Einschätzung von Marten Gerdnun.

Hankirs Fünft- und Sechstklässler basteln in Mainz-Lerchenberg weiter an ihren Wahrheitskugeln. Enes Güven, zehn Jahre alt, sagt: „Das macht schon Spaß. Ich arbeite hier zusammen mit meinem Freund.“ Auch seine Schulleiterin Katrin Herter findet Hankirs FSJ digital sinnvoll. „Das ist ein attraktives Angebot, das lockt Schüler aus der Reserve.“ Manche Kinder würden die Projekte zu Hause weiter verfolgen, erzählt die Rektorin.

www.fsjdigital.freiwilligendienste.drk.de

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