Sonnenfeuer auf der Erde

Greifswald · Seit über sechs Jahrzehnten arbeiten Physiker an einem Kraftwerk, das nach dem Vorbild der Sonne gewaltige Mengen Energie produzieren könnte. Das weltweit größte Experiment seiner Art hat jetzt in Deutschland begonnen.

 So sieht das Innere des Plasmagefäßes der Greifswalder Fusionsanlage aus. Foto: Filser/IPP

So sieht das Innere des Plasmagefäßes der Greifswalder Fusionsanlage aus. Foto: Filser/IPP

Foto: Filser/IPP

An kalten Tagen sind die Sonnenaufgänge über dem Greifswalder Bodden an der vorpommerschen Ostseeküste besonders schön. Die ersten Sonnenstrahlen fallen auf ein flaches Gebäude, dessen geschwungenes Dach an sanfte Wellen auf einem See denken lässt. Es ist das Max-Plack-Institut für Plasmaphysik (IPP). In einer großen Halle steht das derzeit modernste Experiment zur Erforschung der Kernfusion - der Energiegewinnung durch Verschmelzung von Atomen. Das torusförmige Reaktorgefäß mit einem Durchmesser von elf Metern ist kaum zu erkennen hinter den Mess instrumenten, Geräten und fünf Dutzend zimmerhohen Magnetspulen, die ein viele Millionen Grad heißes Plasma einschließen können.

Nach zehn Jahren Vorbereitungszeit wurde die nach einem Berg in den Bayerischen Voralpen benannte Forschungsanlage Wendelstein 7-X kurz vor dem Jahreswechsel in Betrieb genommen. "Wir sind sehr zufrieden", sagt Betriebsleiter Dr. Hans-Stephan Bosch. Einen Beitrag zur Stromversorgung kann die Anlage allerdings nicht liefern. Die Versuche dienen dazu, ihre Komponenten zu testen. Für die Dauer einer zehntel Sekunde leuchtet dabei im Ring ein Helium-Plasma mit einer Temperatur von 1,3 Millionen Grad Celsius auf. Zum Vergleich: Im Zentrum der Sonne herrschen etwa 15 Millionen Grad Celsius. Dabei verschmelzen Wasserstoffatome zu Helium und setzen Energie frei. In diesem Jahr soll die Anlage mit dem eigentlichen Untersuchungsobjekt, dem Wasserstoff-Plasma, getestet werden, kündigt Projektleiter Professor Thomas Klinger an.

Die Kernfusion ist zu einem Wettlauf zweier wissenschaftlicher Konzepte geworden. Die Greifswalder Anlage wird wegen ihrer Bauform als Stellarator (vom lateinischen "stella" für Stern) bezeichnet, die Bauform der Konkurrenz heißt Tokamak. Der Begriff ist von einer russischen Abkürzung abgeleitet. Vom Funktionsprinzip unterscheiden sich beide Verfahren aber nicht: Ein Magnetfeld schließt ein Millionen Grad heißes Plasma ein, in dem die Fusionsprozesse ablaufen. Der wesentliche Unterschied besteht in der Form der Magnetspulen. Eine andere Technik kommt dafür nicht in Frage. Würde das Plasma mit den Wänden des Gefäßes in Berührung kommen, würde es sofort abkühlen und Elektronen und Atomkerne würden wieder zu elektrisch neutraler Materie.

Mit Tokamak-Anlagen liegen bislang die meisten Erfahrungen vor. Bei fast vier Minuten liegt derzeit der Rekord für den Einschluss eines Sonnenplasmas - gehalten vom experimentellen Fusionsreaktor Tore Supra in Cadarache (Frankreich).

In Cadarache entsteht derzeit der größte experimentelle Fusionsreaktor Iter in Kooperation zwischen China, Europa, Indien, Japan, Russland, USA und Südkorea. Er ist zwar noch Jahre von der Fertigstellung entfernt, schreibt aber jetzt schon Rekorde. Die geplanten Baukosten von ursprünglich 4,6 Milliarden Euro haben sich vor dem Start bereits verdoppelt. Ob das Baukonzept letztlich für die Energieversorgung taugt, muss sich noch erweisen. Ein Problem besteht zum Beispiel darin, dass Tokamak-Reaktoren konstruktionsbedingt Strom nicht kontinuierlich liefern.

Einige Fusionsforscher setzen deshalb Hoffnungen auf das Prinzip des Stellarators, der kontinuierlich Energie liefern könnte. Dieses Funktionsprinzip soll in der Greifswalder Anlage untersucht werden. Dabei wird das Plasma von Magnetspulen eingeschlossen, deren Form an überdimensionale Kartoffelchips erinnert.

Auf nur 50 Kubikmeter Raum sollen Temperaturen wie im Sonneninneren erzeugt werden. Das ermöglichen sogenannte supraleitende Magnete, die bei einer Temperatur nahe dem absoluten Nullpunkt von minus 273 Grad Celsius Strom praktisch verlustfrei leiten und so gewaltige Magnetfelder erzeugen. Doch die 15 Meter hohe und 450 Tonnen schwere Technik, die es erlaubt, ein bis zu 100 Millionen Grad heißes Plasma in der Schwebe zu halten, ist außerordentlich kompliziert.

Langfristiges Ziel ist es nach den Worten des Projektleiters, die Fähigkeit zum Dauerbetrieb zu zeigen. Bis irgendwo auf der Welt erstmals Strom aus Kernfusion in das Elektrizitätsnetz gespeist wird, könnte es noch weitere drei Jahrzehnte dauern. Viele Kern- und Plasmaphysiker sind allerdings überzeugt, dass die saubere Energie durch atomare Verschmelzung zur Zukunft der Menschheit gehören wird.

 Diese schematische Darstellung zeigt die Anordnung der Spulen (blau) in der Fusionsforschungsanlage Wendelstein 7-X. Grafik: IPP

Diese schematische Darstellung zeigt die Anordnung der Spulen (blau) in der Fusionsforschungsanlage Wendelstein 7-X. Grafik: IPP

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Hintergrund Ziel der Fusionsforschung ist es, ein Kraftwerk zu entwickeln, das wie die Sonne aus der Verschmelzung leichter Atomkerne Energie gewinnt. Im Unterschied zu Kernspaltungsreaktoren entstehen bei der Kernfusion keine lange strahlenden Abfallprodukte. Auch laufen keine Kettenreaktionen ab. Bei jeder Störung bricht der Fusionsprozess sofort zusammen. Ein Durchbrennen eines Reaktors wie in Tschernobyl oder Fukushima wäre unmöglich. Wie die Kernfusion im Detail funktioniert, hat das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik im knapp zehn Minuten langen Science-Fiction-Video "Fusion 2100" erklärt. USipp.mpg.de/115480/fusion2100

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