So macht Mathe Spaß

Gießen · Das Fach Mathematik bekommt von vielen Schülern schlechte Noten. Viel Stress, wenig Spaß, so lautet ihr Urteil. Das Gießener Mathematikum will das Image dieser Wissenschaft nun aufpolieren und stößt mit seinen Aktionen auf große Resonanz.

 Die Riesenseifenhaut ist das beliebteste Experiment im Mathematikum. Hier lernen die Besucher am praktischen Beispiel, was eine sogenannte Minimalfläche ist. Eine Seifenblase versucht immer einen Zustand zu erreichen, in der sie die kleinstmögliche Oberfläche besitzt. Foto: Mathematikum/Wegst

Die Riesenseifenhaut ist das beliebteste Experiment im Mathematikum. Hier lernen die Besucher am praktischen Beispiel, was eine sogenannte Minimalfläche ist. Eine Seifenblase versucht immer einen Zustand zu erreichen, in der sie die kleinstmögliche Oberfläche besitzt. Foto: Mathematikum/Wegst

Foto: Mathematikum/Wegst

Es ist nicht vermessen zu behaupten, jeder Mensch sei ein geborener Mathematiker , analog zu Joseph Beuys ' Diktum, jeder sei ein Künstler. Es kommt nur auf den Zugang an. Und der wird in der Schule in Sachen Mathematik oft gründlich vermasselt. Während Rechnen, Basteln und Spiele im Zahlenraum Grundschülern noch Spaß machen, schlägt Mathe in der Mittel- und Oberstufe oft in Angst vor der nächsten Klassenarbeit um. Das BWL-Studium scheitert an der Mathe-Hürde, Medizin-Studenten hadern mit der Statistik - und manche Hochschullehrer suchen durch strenge Mathe-Klausuren die guten von den weniger guten Studenten zu trennen. Nach der Klausur suchen die Gestressten dann Entspannung, drehen am Zauberwürfel oder tüfteln an einem Sudoku - wieder Mathematik , aber in anderer Verpackung.

Ganz augenscheinlich wird das auch im Mathematikum in Gießen . Nirgendwo steht Mathe drauf, überall ist Mathe drin. Denkspiele, Bastelaufgaben und Knobeleien zuhauf, dazu Mitmachexperimente, wie die Riesenseifenblase, die man sich über den Körper ziehen kann. Auf Formeln wird verzichtet. "Wir sind als Museum ganz klar im Freizeitbereich angesiedelt", sagt Mathematikum-Direktor und Matheprof Albrecht Beutelspacher. Und der Geräuschpegel im Mitmachmuseum macht klar: Es macht Spaß, auf kreative Weise eine Lösungsstrategie allein oder mit anderen zu entwickeln. Mathe kann auch glücklich machen - dann nämlich, wenn die Lösung gefunden ist. Dieses Glück spüren auch Schüler und Studenten, wenn sie eine Hausaufgabe gelöst haben, oder Forscher, wenn sie einen wichtigen Beweis geführt haben.

Nur wird dieses Glück immer weniger Menschen zuteil. Der Schlüssel liegt für Rainer Danckwerts bei den Lehrern. Als Mathematikdidaktiker hat der emeritierte Hochschullehrer der Uni Siegen zum Mathematikunterricht und zur Lehrerausbildung geforscht. "Die Leute sind immer dankbar, wenn ich ihnen sage: Es liegt nicht zwingend an dir, dass du Mathe nicht verstehst. Es kann auch an Lehrern und Lehrmethoden liegen", sagt Danckwerts. Ein Lehramtsstudent muss in der Regel zwei Schocks verarbeiten: von der Schulmathematik zur abstrakten, anspruchsvollen Hochschulmathematik und dann von diesem Niveau wieder zurück in die Schule. "Viele können das Bildungserlebnis Mathestudium nicht in der Schule anwenden", sagt Danckwerts.

Für Otto Normalverbraucher hat Mathematik laut Danckwerts klar allgemeinbildenden Charakter. Erstens helfe Mathematik , die Dinge unserer realen Welt zu verstehen. Zweitens sei Mathematik eine geistig-kulturelle Schöpfung. Sie führt in eine geordnete Gedankenwelt, in der sichere Erkenntnisse abgeleitet werden. "Und drittens ist die Mathematik eine Schule des Denkens. Sie lehrt Haltungen und Fähigkeiten zum Problemlösen, die über die Mathematik hinausgehen", so Danckwerts.

Doch worin liegt die Tücke des alltäglichen Mathematikunterrichts an den Schulen? "Man hat den Eindruck, dass fortgesetzt Fragen beantwortet werden, die niemand ernsthaft gestellt hat, und forschendes Lernen muss regelrecht inszeniert werden", diagnostiziert der Experte. Im Unterschied zu anderen Fächern sei die Verknüpfung der Alltagswelt mit der Mathematik zwar erklärtes Ziel, aber kaum ausgeprägt. Die Jugendlichen bearbeiteten häufig "Aufgabenplantagen"ohne Bezug zum eigenen Leben, sagt Danckwerts.

Oft komme der Bruch mit der Mathematik dann in der siebten Klasse. Die Pubertät erfasst alle Sinne. Im Unterricht wird's mit Gleichungen und Variablen eine Stufe abstrakter. Die Schüler denken, "das hat nichts mit mir zu tun", und wenden sich ab. Mit pädagogischem Geschick müssten die Lehrer jetzt gegenhalten. Beispielsweise indem sie vom Richtig-falsch-Schema einer Aufgabenlösung abrücken. "Auch ein Fehler hat eine innere Logik", sagt Danckwerts. Wer über einen Fehler auf den richtigen Weg und die richtige Lösung komme, der habe mehr geleistet und auch mehr gelernt, sekundiert ihm der Bremer Gehirnforscher Gerhard Roth . Das wäre solch ein Charakteristikum des Mathematikers: Er biegt vom falschen Weg, einer Sackgasse, auf den richtigen Weg zur Problemlösung ein. Das will auch das Mathematikum auf spielerische Weise zeigen. In jedem von uns steckt ein kleiner Mathematiker .

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HintergrundDas Mitmach-Museum Mathematikum in Gießen wendet sich an Kinder, Jugendliche und Familien. Rund 150 Exponate können ausprobiert werden. Zwei bis vier Stunden sollten die Besucher dafür einkalkulieren. Jährlich kommen rund 150 000 Besucher. Zum Mathematikum ist mittlerweile auch ein Buch herausgekommen. "Wie man in eine Seifenblase schlüpft" ist im C.H. Beck-Verlag erschienen. Es kostet 19,95 Euro (ISBN 34 06 68 13 52).mathematikum.de

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