Digitale Helfer für Blinde und Sehbehinderte Das Smartphone ersetzt das Augenlicht

Berlin · Spezielle Programme für Mobilgeräte sollen Menschen helfen, die ihre Sehkraft ganz oder teilweise verloren haben.

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Foto: SZ

Drei Regalreihen mit Konserven aller Art: Bohnen, Mais, Erbsen, eingelegte Pfirsiche in verschiedenen Größen und von unterschiedlichen Herstellern. Das große Sortiment macht Käufern die Auswahl schwer. Blinde und Sehbehinderte stehen dabei noch vor ganz anderen Herausforderungen. An der Form der Dose lässt sich deren Inhalt nicht ablesen. Sich zu merken, wo die gewünschten Produkte stehen, ist ebenfalls keine Lösung, da Geschäfte ihre Waren häufig umräumen. An der Kasse wartet dann bereits das nächste Problem. Den richtigen Geldschein zu wählen und das Wechselgeld zu zählen, ist für Menschen mit Sehbehinderungen sehr schwierig. Spezielle Programme für das Smartphone sollen Sehbehinderten dabei helfen, alltägliche Herausforderungen selbst zu meistern. Sie wandeln visuelle Informationen in Töne um.

Stiftung Warentest hat Apps für Blinde und Sehbehinderte bewertet und das Programm Taptapsee besonders für blinde Menschen als empfehlenswert eingestuft. Die App erkennt Objekte und deren Farben und liefert dem Nutzer eine Beschreibung. Durch zweimaliges Tippen auf die rechte oder linke Bildschirmseite kann entweder ein Foto oder ein Video eines Gegenstandes gemacht werden. Wenn nur einzelne Objekte im Bild zu sehen sind, erkennt die kostenlose App diese meist, allerdings dauert es lange, bis das Foto ausgewertet ist und die Beschreibungen kommen oftmals holprig daher. Im Test der Internet-Redaktion wurde ein schwarzes Telefon auf einem Schreibtisch vom Programm als „schwarzes Haupttelefon auf Tabelle“ bezeichnet. Die Bedienfelder sind in englischer Sprache, die Beschreibungen erfolgen aber auf Deutsch. Sie enthalten allerdings vereinzelt auch englische Wörter.

Die App Seeing AI, die laut Aussage von Petra Wagner vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband „für viele blinde Smartphone-Nutzer die App des Jahres 2017 war“, bietet neben der Objekterkennung noch viele weitere Funktionen. Sie kann Bar- und QR-Codes erfassen, Geldscheine erkennen, bietet die Funktionen Gesichtserkennung und Personenbeschreibung, kann Dokumente scannen und vorlesen und erkennt Lichtverhältnisse und Farben. Allerdings ist Seeing AI bisher nur für iOS-Nutzer und auf Englisch erhältlich. Die Entwickler arbeiten laut eigener Aussage an einer deutschen Version. Das Programm kann kostenlos installiert werden. Manche Funktionen werden allerdings nur im Rahmen eines kostenpflichtigen Abo-Modells freigeschaltet.

Im Supermarkt Mais und Erbsen voneinander unterscheiden zu können ist zwar wichtig, aber nur der erste Schritt beim Einkauf. Wer darüber hinaus mehr über Nährwerte wissen möchte, kann mit kostenlosen Apps wie Barcoo und ­Codecheck, Barcodes scannen und mehr über die Produkte erfahren. Diese Scanner-Apps sind nicht speziell für Blinde entworfen. Sie richten sich an alle, die sich einzelne Produkte, insbesondere Lebensmittel, näher ansehen wollen. Allerdings waren im Versuch der Internet-Redaktion die Informationen zu Preisen nicht immer korrekt. So wurde beim Scannen einer Flasche Mineralwasser von Barcoo ein Preis von 65 Euro angegeben. Auch ein Preis von fast 200 Euro für 500 Blatt Druckerpapier ist nicht erklärbar.

Die Preisangaben von Codecheck sind realistischer. Da der Preisvergleich bei beiden Apps für das Online-Angebot der Produkte erfolgt, sind die für Nutzer wesentlich interessanteren Preise im Laden um die Ecke nicht ersichtlich.

Beide Apps erkennen auch QR-Codes und geben weitere Informationen zu Produkten wie Bewertungen oder Vor- und Nachteile. Barcoo war auch Bestandteil des Tests von Stiftung Warentest und wurde beim Erkennen von Barcodes gelobt. Allerdings empfanden die Tester die eingeblendete Werbung als störend.

Damit Menschen mit Sehbehinderung oder Blinde überhaupt in der Lage sind, ein Smartphone zu bedienen, sind in die Betriebssysteme Android und iOS schon ab Werk eine ganze Reihe von Bedienungshilfen eingebaut, die die Nutzung erleichtern. Da die Bedienung per Sprachsteuerung möglich ist, können Sehbehinderte die Geräte größtenteils durch mündliche Anweisungen steuern. Außerdem müssen weder Android- noch iOS-Nutzer eine eigene App zu installieren, die ihnen ihre Benachrichtigungen und den Bildschirminhalt vorliest.

Bei iOS-Geräten kann man hierzu einfach in den Einstellungen das „Voice Over“ aktivieren, bei Android-Geräten heißt die Funktion „­TalkBack“, bei Samsung-Geräten „S Voice“. Zudem lassen sich Schriften und Anzeigen vergrößern und wem das nicht reicht, der kann Inhalte mit der Bildschirmlupe noch näher heranholen. In iOS integriert ist außerdem eine weitere Lupenfunktion, die mithilfe der eingebauten Kamera genutzt werden kann. Damit können auch Texte und Gegenstände in der Umgebung vergrößert betrachtet werden. Auf Android-­Geräten ist hierzu die Installation einer App nötig, die es oftmals kostenlos gibt. Die Lupenfunktion kann auch für Menschen mit Alters- und Weitsichtigkeit, oder für all diejenigen, die des Lesens kleingedruckter Inhaltsstofflisten müde sind, eine nützliche Hilfe sein.

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