Die Datenschutzgrundverordnung stößt auf Unverständnis Sieben Tage voller Verwirrung

Berlin · Seit 25. Mai gelten europaweit neue Datenschutzregeln. Die Abmahnwelle blieb zwar aus, doch die Sorgen bleiben.

 Die neue Verordnung soll eigentlich in erster Linie dazu dienen, die persönlichen Daten der Bürger zu schützen.

Die neue Verordnung soll eigentlich in erster Linie dazu dienen, die persönlichen Daten der Bürger zu schützen.

Foto: dpa/Patrick Pleul

Das neue Datenschutzrecht der EU steht in der Kritik. Vor verheerenden Folgen wurde schon vor dem Start gewarnt. Nun ist die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) seit einer Woche europaweit gültig. Was ist seitdem passiert? „Die Welt steht noch“, sagt Rechtsanwalt Christian Solmecke. „Die schlimmen Befürchtungen vieler Unternehmen haben sich bislang nicht bestätigt.“ Dennoch war das neue Regelwerk in vielen Bereichen folgenreich.

Eine ganze Reihe von Webseiten ist zum Stichtag vor allem aus Rechtsunsicherheit vom Netz genommen worden. Einige US-amerikanische Zeitungen hatten zunächst ihr Online-Angebot für europäische Leser gesperrt. Die Postfächer unzähliger Nutzer liefen wegen der massenhaft versandten Bestätigungsmails voll. Die Polizei in Niedersachsen warnte davor, dass sich darunter auch Phishing-Mails befinden könnten, deren Verfasser das Chaos ausnutzen wollten, um an Nutzerdaten zu gelangen. Die Erzdiözese Freiburg stellte aus Furcht vor Datenschutzverstößen laut Medienberichten ihr Livestream-Angebot gleich komplett ein.

Die befürchtete Abmahnwelle sei bisher allerdings ausgeblieben, sagt IT-Rechtsexperte Solmecke. Das könne auch daran liegen, dass noch immer große Rechtsunsicherheit bestehe. „Selbst Abmahner wissen im Moment nicht, was hinter vielen Regelungen steckt.“ Sogar viele Behörden seien derzeit mit der neuen Verordnung überfordert, so der Anwalt. Es könne zwar im Wettbewerbsrecht künftig das ein oder andere Abmahnschreiben geben. Eine Abmahnwelle gebe es aber nicht.

Nach Vorgabe der ­DSGVO dürfen nur Betroffene, Aufsichtsbehörden und Verbände gegen Datenschutzverstöße vorgehen. Am 25. Mai dauerte es dennoch nur Stunden, bis es erste Abmahnungen gab. Wie die Anwaltskanzlei Weiß & Partner berichtet, ging in einem Fall ein Anwalt aus Bayern im Auftrag eines Geschäftsmannes gegen einen Konkurrenten vor. Dieser habe keine Datenschutzhinweise auf seiner Internetseite und verschaffe sich damit unlauteren Vorteil, so der Vorwurf. Die Kanzlei Hechler in Schwäbisch Gmünd zählte gleich drei vergleichbare Fälle.

Die Debatten der letzten Wochen hätten aber auf jeden Fall deutlich gezeigt, dass der Datenschutz nicht mehr stiefmütterlich behandelt werde, sagte Datenschutz-Experten Florian Glatzner vom Verbraucherzentrale Bundesverband. „Das ist ein Erfolg.“ Verbraucher hätten in jedem Fall „keinen Grund, verunsichert zu sein. Im Gegenteil: Ihre Rechte wurden gestärkt.“

Ohnehin dürften die Aufsichtsbehörden ihr besonderes Augenmerk vor allem auf die großen Internet-Konzerne richten. Datenschützer erhoffen sich mit der Möglichkeit, hohe Bußgelder zu verhängen, endlich ein wirksames Druckmittel. Erste Beschwerden gegen Facebook, Google, ­Apple, Amazon, Linkedin, Instagram und Whatsapp seien bereits bei den Aufsichtsbehörden eingereicht worden, sagte Verbraucherschützer Glatzner. „Ohne dem Ergebnis der Verfahren vorgreifen zu wollen, belegt das, dass die DSGVO Wirkung zeigt.“ Der österreichische Internet-Aktivist Max Schrems nutzte den Start der ­DSGVO für Beschwerden gegen Google und Facebook sowie dessen Dienste Instagram und Whatsapp. Schrems will damit gegen „Zwangszustimmungen“ vorgehen, die bislang eingefordert würden, um die Dienste zu nutzen.

Bei vielen Menschen, Verbänden und Unternehmen herrscht jedoch große Unsicherheit. Das könne „möglicherweise in einer ungenügenden Kommunikation begründet“ sein, sagt Florian Glatzner. Für alle, die bereits datenschutzkonform gearbeitet hätten, sei bei einer Übergangszeit von zwei Jahren genügend Zeit gewesen. „Hier wären Bundesregierung, Verbände und Kammern gefragt gewesen, frühzeitig über die Verordnung zu informieren.“

„Helfen statt bestrafen sollte die Leitlinie für Behörden sein“, so die Einschätzung von Achim Berg, Präsident des Branchenverbandes Bitkom. Er spricht sich für längere Schonfristen aus. Die meisten Unternehmen hätten aktuell noch mit der Verordnung zu kämpfen.

Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft warnt derweil vor einer „Entdigitalisierung unserer Wirtschaft“. Unternehmen würden aus Verunsicherung ihre digitalen Aktivitäten einschränken, sagt Mario Ohoven. „Die Mittelständler brauchen deutlich mehr Zeit, um ihre Unternehmen komplett ­DSGVO-konform zu machen.“

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