Schlaue Kaufmaschine für die Hosentasche

Seattle · Während die Rivalen bereits über Computeruhren und Datenbrillen brüten, steigt Amazon in den Smartphone-Markt ein. Aber hinter dem Fire Phone steckt mehr. Es die Idee einer Computer-Plattform, die den Amazon-Kunden ständig begleitet. Das Gerät soll in den USA im Juli auf den Markt kommen, ein Termin für Deutschland steht noch nicht fest.

 Mit seiner Kamera kann das Amazon-Handy Fire Phone laut Hersteller bis zu 100 Millionen Produkte identifizieren. Diese kann der Nutzer dann auch gleich online bestellen. Bildschirmfoto: SZ

Mit seiner Kamera kann das Amazon-Handy Fire Phone laut Hersteller bis zu 100 Millionen Produkte identifizieren. Diese kann der Nutzer dann auch gleich online bestellen. Bildschirmfoto: SZ

Amazon will mit seinem ersten Smartphone die ganze Welt zum Geschäft machen. Es genüge, mit dem Fire Phone ein Foto von einem Gegenstand zu machen - schon werde der entsprechende Artikel im Sortiment des Online-Händlers angezeigt, lautet das Versprechen. Diese Erkennungsfunktion mit dem Namen "Firefly" macht das Telefon zu einer Kaufmaschine, die immer dabei ist. Und Amazons Kassen klingeln lässt.

Das Unternehmen hat sich viel Zeit mit seinem ersten Smartphone gelassen. Sieben Jahre ist es her, dass Apples erstes iPhone die Marschrichtung für das moderne Computerhandy vorgegeben hat. Samsung und Apple haben heute das Geschäft fest in der Hand und daneben drängen mit Wucht chinesische Anbieter günstiger Geräte in den Markt. Ist es zu spät für einen neuen Mitspieler, selbst wenn es der größte Online-Händler der Welt ist?

Nicht wenn es nach Amazon-Chef Jeff Bezos geht. Die Entwicklung bei mobilen Geräten stehe noch ganz am Anfang, sagte er der "Seattle Times" nach Vorstellung des Fire Phone. Sinnlos sei es, Platzhirsche mit Nachahmer-Geräten anzugreifen. So sei der Entschluss, ein eigenes Smartphone zu bauen, erst gefallen, als es zwei Ideen gab: Ein Handy, das alles auf der Welt erkennen kann, und ein Display, das auf Kopfbewegungen reagiert.

Das Programm Firefly soll auf dem Gerät allzeit bereit sein. Es könne 100 Millionen Artikel erkennen, gab Bezos an. Der Einzelhandel, der seit Jahren unter dem Druck von Amazon und anderen Online-Shops steht, könnte jetzt noch mehr in Bedrängnis geraten. Läden vor Ort könnten zum Schauraum für Amazon degradiert werden. In Firefly steckt aber mehr als nur die direkte Verbindung zwischen physischer Welt und Amazons Warenlagern. Das System erkennt auch Text wie E-Mail-Adressen, Telefonnummern oder Straßenschilder sowie Musik, Fernsehsendungen und Kunstwerke. Die Plattform ist ab sofort für alle Software-Entwickler geöffnet.

Die von Bezos gezeigte App Vivino, die nach einem Foto des Etiketts sofort Infos über einen Wein auftischt, ist erst der Anfang. Firefly könnte die Basis für eine visuelle Suchmaschine sein, die in Amazons Servern beheimatet ist.

Die zweite innovative Funktion soll die Benutzung des Geräts angenehmer machen. "Dynamic Perspective" passt die Darstellung auf dem Bildschirm an den Blickwinkel des Betrachters an. Dafür verfolgen vier Kameras um das Display permanent die Kopfposition des Nutzers, sogar in der Dunkelheit. Das soll ein nahezu dreidimensionales Bild ermöglichen. Man kann zudem per Kipp-Bewegung lange Texte rollen lassen oder Details auf einem Stadtplan hervorbringen. Vertreter des Technik-Blogs "Ars Technica" stellten aber Probleme fest, sobald mehr als ein Kopf ins Blickfeld der Kameras geriet.

Ob die neuen Funktionen ausreichen, um Kunden zum Wechsel von ihren iPhones oder Samsungs zu bewegen? In dem Gerät steckt nur ein vergleichsweise lahmer Prozessor und ein für die vielen Kameras eher schmal ausgelegter Akku. Branchenexperte Ian Fogg von der Marktforschungsfirma IHS zeigt sich skeptisch. Die neuen Funktionen seien zwar ungewöhnlich und technisch beeindruckend, aber nicht ausreichend, um die Kunden zu überzeugen. "Nur einen bekannten Namen auf der Box zu haben, reicht nicht aus, um Smartphones zu verkaufen." Das Fire Phone habe zudem keinen Preisvorteil (laut amzon.com zwischen 199 und 649 Dollar, also 146 bis 476 Euro) gegenüber Geräten der etablierten Konkurrenten. Kunden in Deutschland müssen sich ohnehin gedulden. Zu einem möglichen Marktstart gibt Amazon "keinen Kommentar".

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