Schalldämpfer für Tinnitus

Homburg · Rund drei Millionen Menschen in Deutschland leiden an Tinnitus. Eine medizinische Neuro-Musiktherapie kann einer ganzen Reihe dieser Patienten helfen. Das haben jetzt Untersuchungen an der Uniklinik in Homburg gezeigt.

 Christoph Krick untersucht die Wirkung der Neuro-Musiktherapie in diesem Kernspintomographen der Uniklinik Homburg. Foto: Maurer

Christoph Krick untersucht die Wirkung der Neuro-Musiktherapie in diesem Kernspintomographen der Uniklinik Homburg. Foto: Maurer

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"Nur meine Ohren, die sausen und brausen Tag und Nacht fort. Ich kann sagen, ich bringe mein Leben elend zu." Dieses Zitat stammt vom wohl bekanntesten Tinnitus-Patienten aller Zeiten, der unter seiner Krankheit litt wie kein Zweiter: Ludwig van Beethoven . Dem begnadeten Komponisten, der schon im Alter von 30 Jahren über Ohrgeräusche klagte und mit 50 Jahren taub war, konnte kein Arzt seiner Epoche helfen.

Heute ist die Medizin in der Tinnitus-Therapie zwar ein großes Stück weiter, doch eine sicher wirkende Behandlung gibt es immer noch nicht. Um so schlimmer deshalb, dass die Zahl der Patienten stetig wächst. Rund 150 000 kommen in jedem Jahr in Deutschland dazu, insgesamt sind es bereits über drei Millionen, so Miriam Grapp vom Deutschen Zentrum für Musiktherapieforschung in Heidelberg. Sie können mit Medikamenten behandelt werden, die die Durchblutung fördern, mit Akupunktur, Aufbissschienen, die Fehlstellungen des Kiefers korrigieren sollen - und einer Neuro-Musiktherapie. Bei ihr haben Homburger Forscher der Saar-Uni nun erstmals nachgewiesen, dass sie tatsächlich das Gehirn verändert.

Heilen durch Töne? Das klingt recht wunderlich, aber schon viel plausibler, wenn Dr. Christoph Krick vom Neurozentrum der Saar-Universität die Ursachen der quälenden Ohrgeräusche erklärt. Der Biologe vergleicht den Tinnitus mit dem Phantomschmerz, den ein amputierter Patient in verlorenen Gliedmaßen zu spüren glaubt. Zu Beginn steht oft, so Krick, eine teilweise Schwerhörigkeit. "Das Ohr kann bestimmte Frequenzen nicht mehr wahrnehmen. Das Gehirn erwartet aber ein Signal und verstärkt deshalb diese Frequenzen immer mehr." So entstehe eine Rückkopplungsschleife, ähnlich wie bei einer Lautsprecheranlage. Das Gehirn "hört" schließlich ein Phantomgeräusch einer Frequenz, auf der das Ohr taub ist. "Aufmerksamkeitsprozesse und Emotionen können dieses Schein-Geräusch verstärken. Und fertig ist der Tinnitus ", erläutert Krick.

Bei der Neuro-Musiktherapie ziele die Behandlung folglich nicht auf das Gehör, denn der ursprüngliche Hörschaden sei nicht mehr zu beheben, sondern auf die fehlgesteuerte Signalverarbeitung des Nervensystems. Das Gehirn soll den Tinnitus-Ton wieder verlernen. Die Veränderungen, welche die Neuro-Musiktherapie bei diesem Prozess im Nervensystem hervorruft, kann der Hirnforscher der Saar-Uni messen.

Bei der Musiktherapie , so Miriam Grapp, wird zunächst der Tinnituston präzise analysiert. Um das Störgeräusch zu löschen, setzen die Therapeuten anschließend alles daran, mit einem musikalischen Training im sogenannten Auditorischen Cortex des Gehirns Signale zu erzeugen, die das Gehör selbst nicht mehr beisteuern kann. Mit einem Ausdruck aus der Computersprache ließe sich das so formulieren: Die Therapeuten versuchen einen Reset des akustischen Systems. Die Patienten müssen dabei zum Beispiel wieder lernen, zu Klavierbegleitung Zwei- und Dreitonfolgen zu singen. "Wieder" bedeutet: Sie können es häufig nicht mehr, so die Vertreterin des Heidelberger Instituts für Musiktherapieforschung. "In der Regel singen Patienten zunächst bei genau den Frequenzen falsch, bei denen ihr Hören gestört ist." Das sogenannte Kompensationstraining wird durch Entspannungsübungen ergänzt. "Es ist überraschend, dass eine so weiche Therapie so schnell harte Fakten schaffen kann", wunderte sich auch der Biologe Christoph Krick zu Beginn der gemeinsamen Studie. Das Zentrum für Musiktherapieforschung nennt eine Erfolgsquote von 80 Prozent. So hoch sei der Anteil der Patienten , die den Tinnitus nach der Behandlung zumindest nicht mehr als so quälend empfinden. Bei acht Prozent sei das Ohrgeräusch völlig verschwunden, so Miriam Grapp. Dieser Effekt sei dauerhaft.

Die persönlichen Eindrücke der Patienten , so Christoph Krick, seien nun durch Messungen im Kernspintomographen der Saar-Uni bestätigt. Krick untersuchte 60 Patienten , die eine Neuro-Musiktherapie absolviert haben. Ein Teil von ihnen habe seit Jahren unter Tinnitus gelitten, bei einer anderen Gruppe war das Leiden erst vor Kurzem aufgetreten. Die Forscher fanden bei ihren Untersuchungen bereits nach sieben Therapie-Tagen Veränderungen im akustischen Zentrum des zentralen Nervensystems, erklärt Christoph Krick. "Unser Gehirn ist eben ungeheuer plastisch." Als Nächstes wollen die Homburger Forscher die Nervenvernetzungen im Auditorischen Cortex genauer untersuchen. "Wir werden versuchen, dort das Wachstum einzelner Nervenfasern unter die Lupe zu nehmen, um die Veränderungen besser zu verstehen", so Christoph Krick.

 Diese rot markierten Bereiche des Gehirns zeigen Regionen, die eine Neuro-Musiktherapie verändert. Grafik: Krick

Diese rot markierten Bereiche des Gehirns zeigen Regionen, die eine Neuro-Musiktherapie verändert. Grafik: Krick

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Hintergrund Ein Kernspintomograph kommt im Gegensatz zur Computertomographie, die mit Röntgentechnik arbeitet, ohne schädliche Strahlung aus. Er regt mit einem starken Magnetfeld Wasserstoffatomkerne zu Schwingungen an. Mit einem zusätzlichen, variablen elektromagnetischen Feld lassen sich mit dieser Technik Schnittbilder aus dem Körper erzeugen, aus denen dann 3-D-Darstellungen errechnet werden können. In der Neurologie wird das Verfahren für Gehirn-Untersuchungen benutzt. Dabei machen sich die Forscher zum Beispiel den Umstand zunutze, dass beim Lernen im Gehirn viele neue Verbindungen zwischen den Nervenzellen entstehen. Diese sogenannten Synapsen ändern die Volumina einzelner Areale im Gehirn minimal. Solche kleinen Veränderungen, selbst wenn sie nur wenige Kubikmillimeter ausmachen, können heute mit einem Kernspintomographen gemessen werden. byl

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