Per Anhalter durchs Gemüsebeet

Kiel · Fadenwürmer sind keine Sympathieträger. Unter den millimetergroßen Tieren, die schon vor den Dinosauriern auf der Erde lebten, sind viele Parasiten, die auch für den Menschen eine Gefahr darstellen. Die Techniken, die diese winzigen Tiere zur Fortbewegung entwickelt haben, nötigen allerdings Respekt ab. Sie können zum Beispiel im Verdauungstrakt anderer Lebewesen große Strecken zurücklegen.

 Nimmt Fadenwürmer als Anhalter mit: Die in Deutschland häufig vorkommende Nacktschnecke Arion spec. Foto: Petersen/Uni Kiel

Nimmt Fadenwürmer als Anhalter mit: Die in Deutschland häufig vorkommende Nacktschnecke Arion spec. Foto: Petersen/Uni Kiel

Foto: Petersen/Uni Kiel

Ein Fadenwurm zu sein ist nicht immer leicht. Die auch als Nematoden bezeichneten, etwa einen Millimeter langen Tiere, leben meist in einem Zuhause, das nicht allzu lange Bestand hat. Verrottende Früchte oder anderes, zerfallendes Pflanzenmaterial etwa gehören dazu. Die Lebensbedingungen der Würmer ändern sich ständig, zumal auch die Umgebungstemperatur starken Schwankungen unterliegt. Um zu überleben, sind Fadenwürmer deshalb gezwungen häufig den Standort zu wechseln. Wie sie das hinbekommen, war bisher allerdings völlig rätselhaft, denn die winzigen Tiere sind nicht besonders beweglich.
Einmal quer über die Wiese

Wissenschaftler der Christian-Albrechts-Universität Kiel (CAU) haben nun herausgefunden, wie die Fadenwürmer ihre Transportprobleme lösen: Sie nutzen den Verdauungstrakt anderer Lebewesen wie Nacktschnecken als öffentliches Verkehrsmittel, um von einer Ecke einer Wiese an die andere zu gelangen. Um den Lebenswandel der Nematoden besser erforschen zu können, sammelten die Wissenschaftler in Gärten und Komposthaufen 600 Nacktschnecken sowie 400 andere wirbellose Tiere, darunter Fliegen, Tausendfüßler, Spinnen und Käfer. Anschließend überprüften sie, ob Fadenwürmer diese Tiere möglicherweise als Transportmittel nutzen.

Und tatsächlich: Nematoden fanden sich häufig in Nacktschnecken, Asseln und Tausendfüßlern. Dorthin gelangen die Würmer höchstwahrscheinlich mit der Nahrung ihrer Wirtstiere.

Nähere Untersuchungen bestätigten die Annahme der Kieler Biologen, dass die Würmer bis in den Verdauungstrakt ihrer Spediteure gelangen können. Dort können sich sogar vermehren und werden schließlich lebendig wieder ausgeschieden. "Die Würmer scheinen sich also - ähnlich wie Symbionten oder Parasiten - an die schwierigen Lebensbedingungen im Körperinnern angepasst zu haben", erklärt Hinrich Schulenburg, Professor an der Universität Kiel .

Um zu untersuchen, wie die Fadenwürmer in den Verdauungstrakt der Schnecken gelangen und was danach geschieht, markierten die Wissenschaftler über eine Million Nematoden mit einem Fluoreszenzfarbstoff und brachten sie auf engem Raum mit 79 Nacktschnecken zusammen. Anschließend wurden die Schnecken unter dem Mikroskop untersucht. Dabei fanden die Kieler Forscher heraus, dass Würmer und Schnecken offenbar perfekt harmonieren. Die Würmer passieren das Verdauungssystem der Schnecken ohne Schaden zu nehmen, den Schnecken wiederum scheine eine starke Besiedlung durch Würmer nichts auszumachen. Die Forscher vermuten darüber hinaus, dass der Verdauungstrakt von Nacktschnecken einen weiteren Vorteil bietet: Die dort lebenden Bakterien könnten den Fadenwürmern während der Reise als Nahrung dienen.

Allerdings können die Fadenwürmer im Labor nur maximal einen Tag in ihrem Wirt überleben, fanden die Forscher heraus. Da sie außerdem meist vorher wieder ausgeschieden werden, müssen sie also um längere Strecken zu überwinden, mehrfach das Transportmittel wechseln.

 Fadenwurm.

Fadenwurm.

Foto: Jürgen Berger / Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie

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HintergrundFadenwürmer (Nematoden) sind mit über einer Million Arten die größte Gruppe des Tierreichs, berichtet das Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie. Die meist nur millimetergroßen Würmer leben in allen Ökosystemen. Es gibt allerdings auch Exemplare, die über einen Meter lang werden können. Einige der Würmer sind gefährliche Parasiten bei Menschen, Tieren und Pflanzen. Und ein Wurm hat es schließlich zu wissenschaftlichem Ruhm gebracht: Caenorhabditis elegans zählt zu den beliebtesten Modelltierchen in Biologie-Labors. Er war der erste Vielzeller, dessen Genom im Jahr 1998 komplett entschlüsselt wurde. mgs

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