Online-Punktehandel Suche Sündenbock, biete Punkte in Flensburg

Saarbrücken · „Ich übernehme Ihr Fahrverbot“ – solche zweifelhaften Angebote finden sich immer häufiger im Internet. Ob dieser Ablasshandel strafbar ist, das ist umstritten.

 Wer acht Punkte in der Verkehrssünderkartei in Flensburg gesammelt hat, muss mit hohen Strafen und dem Verlust seines Führerscheins rechnen.

Wer acht Punkte in der Verkehrssünderkartei in Flensburg gesammelt hat, muss mit hohen Strafen und dem Verlust seines Führerscheins rechnen.

Foto: dpa-tmn/Patrick Seeger

Laut Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) sind derzeit ungefähr zehn Millionen Menschen in Deutschland mit mindestens einem Punkt in der Verkehrssünderkartei in Flensburg registriert. Sei es, weil sie eine rote Ampel übersehen haben, mit dem Smartphone am Steuer erwischt wurden oder schlicht und ergreifend zu schnell gefahren sind. Seit Mai 2014 gelten härtere Regeln: Wer acht Punkte erreicht, muss mit mindestens sechs Monaten Fahrverbot rechnen. Auch bei schweren Verkehrsverstößen wird der Führerschein, unabhängig vom Punktestand in Flensburg, eingezogen.

Für Berufstätige, deren Existenz von ihrer Fahrerlaubnis abhängt, ist das ein Schock. Genau hier setzen etliche dubiose Agenturen im Internet an. „Ich übernehme Ihre Punkte und Ihr Fahrverbot“ oder „Geld gegen Punkte“, versprechen sie auf ihren Seiten. Mit Hilfe von Strohmännern sollen sich Verkehrssünder auf diesem Weg von ihrer Schuld freikaufen können – und das angeblich völlig legal.

Das „Geschäftsmodell“ dieser Online-Agenturen scheint simpel: Wer einen Anhörungs- oder Zeugenfragebogen von der Bußgeldstelle erhält, soll die Vorder- und Rückseite einscannen und die Datei als E-Mail-Anhang an den entsprechenden Punkte-Händler senden. Dieser macht sich in seiner Datenbank auf die Suche nach einem Strohmann, dessen Alter, Geschlecht und Aussehen weitestgehend mit dem des wirklichen Täters übereinstimmen. In der Rolle des Sündenbocks füllt er den Bogen aus, bekennt seine vermeintliche Schuld, schickt ihn in eigenem Namen zurück und schon wenige Wochen später enthält seine Kartei in Flensburg fremde Punkte, erklären die Anbieter auf ihren Seiten.

Dabei vertrauen sie auf drei Schlupflöcher: Zum einen sind das die oft nur schemenhaften Blitzerfotos, zum anderen werden mittlerweile viele Verfahren automatisiert bei der Bußgeldbehörde bearbeitet. Diese sind, angesichts der extrem hohen Zahl an Verkehrsdelikten im Jahr, zudem meist nicht in der Lage, alle Angaben eingehend zu überprüfen. Zu guter Letzt stützen sich die Anbieter auf eine Gesetzeslücke: Sich selbst einer Ordnungswidrigkeit zu bezichtigen, sei demnach nicht strafbar, lautet ihre Erklärung. Darüber hinaus sei der tatsächliche Fahrer ohnehin nicht dazu verpflichtet, sich zum Tathergang zu äußern.

Wer sind die Menschen, die sich als Strohmänner bewerben? „Fahrer, die ihren Führerschein nicht brauchten und bereit waren, gegen Bares Punkte und Fahrverbot zu übernehmen“, heißt es dazu auf der Seite eines Online-Anbieters, der sich selbst als Marktführer in dieser fragwürdigen Branche rühmt. Der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC) drückt sich konkreter aus: In den meisten Fällen handele es sich hierbei um sozial Schwache, Häftlinge mit Freigang, fahrunfähige Kranke oder Menschen ohne Auto.

Verkehrssünder, die sich auf diesen Ablasshandel einlassen, müssen tief in die Tasche greifen. Denn die Agenturen berechnen neben den Kosten, die dem Fahrer bei der Bußgeldbehörde blühen, eine Grundpauschale von 100 Euro plus eine feste Summe für die Art des übernommenen Verstoßes. Um einen Monat Fahrverbot zu vermeiden, werden zum Beispiel 300 Euro fällig. Wer zwei Punkte in Flensburg ausradieren will, zahlt 400 Euro. Und am Ende kommt so schnell ein saftiger Preis im vierstelligen Bereich zustande.

Dass die Punkte-Trickserei nicht rechtens ist, ist klar. Doch ist das Verfahren illegal? Hier scheiden sich die Geister, erklärt Wolfgang Kuntz, Fachanwalt für IT-Recht in Saarbrücken. Einig seien sich wohl nur der ADAC und das KBA. Sie halten den Punktehandel für strafbar und berufen sich dabei auf den Vorwurf der „gemeinschaftlich mittelbaren Falschbeurkundung“. So führten der Fahrer und Strohmann die Behörden mit falschen Angaben im Anhörungsbogen in die Irre. Diese Daten würden wiederum an öffentliche Register weitergeleitet und der wahre Schuldige gefährde weiterhin den Straßenverkehr. Demnach bestehe „ein großes öffentliches Interesse daran, dass die in einem Bußgeldbescheid festgesetzten Sanktionen, insbesondere die Bepunktung von Delikten, die wahren Täter treffen“, erklärt das KBA. Fliege dieser Betrug auf, mahnt auch der ADAC, droht beiden Parteien eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren.

Bislang wurden allerdings weder die Online-Agenturen noch ihre Kunden erfolgreich verklagt. Und das, obwohl der Handel mit Flensburger Punkten schon seit 2003 im Internet boomt. Zwar stellte das KBA seinerzeit 60 Strafanzeigen gegen Händler, die ihre Dienste auf der Verkaufsplattform Ebay anboten, passiert ist jedoch nichts. Ebay löschte die Angebote, die Verfahren wurden eingestellt, die Täter kamen ungeschoren davon. „Es gibt derzeit nur eine gerichtliche Entscheidung, die aber nicht explizit den Online-Punktekauf betraf“, berichtet Kuntz. Dabei handele es sich um einen Fall aus dem Jahr 2015, in dem zwei Personen ein- und derselben Firma zusammenarbeiteten, um einem Bußgeld und Fahrverbot zu entgehen. Das Oberlandesgericht Stuttgart verurteilte den Verkehrssünder wegen „falscher Verdächtigung in mittelbarer Täterschaft“ zu einer Geldstrafe von 2800 Euro. Der Strohmann, der wegen Beihilfe angeklagt war, wurde freigesprochen. (Az.: 2 Ss 94/15).

Diese Entscheidung sei jedoch keineswegs allgemeingültig, sagt Wolfgang Kuntz. In der Tat gebe es zum Thema Online-Punktehandel „juristisch unterschiedliche Sichtweisen“. Ob und wie Angeklagte bestraft werden, komme demnach auf die Auffassung des jeweiligen Richters an. „Wenn diese Fälle vor das Gericht kommen, ist es durchaus denkbar, dass jemand verurteilt wird“, konstatiert Kuntz.

Wie undurchsichtig die Lage ist, zeigt auch eine Untersuchung der Stiftung Warentest. Sie kommt – entgegen der strikten Auffassungen des ADAC und KBA – zu dem Ergebnis, das wohl wirklich eine Gesetzeslücke vorliegt. „Beim richtig ausgeführten Punktehandel bezichtigt der tatsächliche Fahrer keinen Anderen eines Verkehrsverstoßes, sondern der Strohmann nur sich selbst“, zitiert die Stiftung Warentest Christian Demuth, Fachanwalt für Verkehrsstrafrecht.

Laut Wolfgang Kuntz gibt es noch einen weiteren Aspekt zu bedenken: die entsprechenden Online-Agenturen scheinen alles andere als vertrauenswürdig. So liege etwa der Firmensitz des selbsternannten Spitzenreiters, der auf seiner Seite mit einer „seriösen deutschen de.-Domain wirbt“, auf den Seychellen. „Dies ist ein Hinweis darauf, wie einseitig die Rechtsgrundlagen von den betreffenen Unternehmen betrachtet werden“, urteilt Kuntz.

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