Wie sinnvoll sind Online-Petitionen? Mit Unterschriften online die Welt retten

Berlin · Es geht um den Import von Jagdtrophäen und den Kampf gegen Plastikverpackungen: Immer mehr Menschen starten im Internet Petitionen, um die Welt zu verändern und sich Gehör zu verschaffen. Wie sinnvoll sind die digitalen Unterschriftenaktionen?

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Foto: SZ

Für die Freiheit, gegen das Artensterben, für mehr Demokratie und gegen den Klimawandel: Auf den ersten Blick will eine Vielzahl der Menschen die Welt besser machen. Denn jährlich unterschreiben Millionen Deutsche Petitionen im Internet. Führt diese Form des Protests wirklich zum langfristigen Erfolg oder enden diese Aktionen bereits nach dem ersten Mausklick?

Wo früher Menschen mühselig von Tür zu Tür gingen oder in der Innenstadt Unterschriften sammelten, erledigen heute Petitionsportale im Internet wie zum Beispiel avaaz.org, openpetition.de,
change.org oder compact.de mit vorgefertigten Formularen den Papierkram. Wer eine Petition erstellen will, muss sich nur noch ein Thema aussuchen, einen aussagekräftigen Titel finden, der die Massen anspricht, einen kurzen Text dazu stellen und schon kann sich die digitale Empörung im Netz verbreiten.

Online verlangen derzeit beispielsweise einige: „Schluss mit der ungerechten Erbschaftssteuer“ (6413 Unterschriften), „Asyl für Edward Snowden“ (14 298 Stimmen) oder „Standklimaanlagen in allen Lkws“ (1562 Unterschriften). Auch der Umweltschutz ist ein Dauerthema auf Petitions-Plattformen. Der Verein „Rettet den Regenwald“ fordert: „Die EU muss die Abholzung der Wälder stoppen“. Rund 180 000 Menschen haben diese Petition bereits unterschrieben. Aber auch andere Vorstellungen von Gerechtigkeit lassen sich online finden: So fordern derzeit 1365 Menschen auf der Plattform change.org, dass die US-Serie „RuPaul’s Drag Race“ – die Show ist angelehnt an „Germany’s next Topmodel“ und sucht nach Amerikas nächstem Drag-Superstar – auch in Deutschland ausgestrahlt wird.

Obwohl immer mehr Menschen bei Entscheidungen, die ihr Leben betreffen, eingebunden werden wollen, scheint der kurzzeitige Aktivismus nach dem Start einer Petition im Netz direkt wieder verflogen. Nur wenige der Unterschriftenaktionen werden beim Bundes-Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages auch eingereicht. 11 507 Unterschriftensammlungen hat der Ausschuss im vergangenen Jahr erhalten – 145 davon kamen aus dem Saarland. Somit liegt die Zahl der eingereichten Petitionen deutlich unter dem langjährigen Mittelwert von 17 000, erklärt der Ausschuss in seinem Jahresbericht 2017. „Der Seismograf für die Sorgen und Nöte der Menschen“ sei „aus der Mode gekommen“, heißt es weiter. Die meisten Petitionen wurden im Bereich „Arbeit und Soziales“ eingereicht, gefolgt von Gesundheit und Inneres. Umwelt und Naturschutz schaffte es im vergangenen Jahr nur auf Platz neun.

Ein Problem sei, dass die Petitions-Plattformen einem Nutzer zwar hülfen, eine Unterschriften-Sammlung zu starten, diese aber nicht automatisch auch beim Bundespetitionsausschuss einreichten, erklärt Rita Schumacher, Pressesprecherin der Petitionsplattform Openpetition. Das müssten die Initiatoren übernehmen oder den Plattformen eine Vollmacht ausstellen.

Auch die Petitionsportale im Netz spüren den Rückgang. Während auf der Webseite Openpetition 2014 noch 6231 Aufrufe online gingen, waren es im vergangenen Jahr nur noch 4916 – ein Rückgang um 21,1 Prozent, teilte Schumacher mit. Dem stehe entgegen, dass immer mehr Menschen Online-Petitionen unterschrieben. Die Zahl der Unterschriften sei von rund 2,6 Millionen im Jahr 2014 auf rund 3,6 Millionen im vergangenen Jahr gestiegen.

Die Gründe für das steigende Interesse an Online-Petitionen sieht Openpetition-Gründer Jörg Mitzlaff unter anderem in der gestiegenen Qualität der Petitionsplattformen. „Petitionen hatten lange einen nicht so guten Ruf. Inzwischen sind sie in der Gesellschaft jedoch als wirksames Sprachrohr zur politischen und gesellschaftlichen Teilhabe angekommen.“ Der schlechte Ruf beruhe vor allem auf der Kritik, dass Petitions-Plattformen nur an den Daten der Nutzer interessiert seien. Diesen Vorwurf wiesen die Betreiber der Webseiten jedoch zurück. Sie sehen sich als bürgernahe Schnittstelle zwischen Mensch und Petitions-Ausschuss.

Im Internet sind Nutzer geteilter Meinung. In vielen Online-Foren werden die Petitions-Plattformen als reine „Datensammler“ kritisiert. Insbesondere die Petitionswebseite change.org, die mit über 100 Millionen Nutzern weltweit als führende Plattform gilt, stand in den vergangenen Jahren massiv in der Kritik. Jurist und Datenschutz-Experte Thilo Weichert befürchtet, dass die Seite nicht „rechtskonform“ ist. Bereits 2015 hat der damalige Datenschutzbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein darauf hingewiesen, dass die Meinungen von Millionen deutscher Nutzer über change.org auf US-Servern und „sogar bei der NSA landen“ könnten. Diese Kritik hatte Weichert 2015 als Beschwerde beim zuständigen Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit eingereicht. „Dass die Beschwerde bis heute nicht abschließend behandelt wurde, liegt, so die Auskunft, an der Überlastung der Dienststelle“,sagt Weichert. An seinen Kritikpunkten bezüglich change.org habe sich jedoch nichts geändert. „Ich bin eher noch schockierter als vorher.“ Die Datenverarbeitung von change.org finde nur noch auf US-Servern statt und nicht mehr in Deutschland. Andere Petitions-Plattformen wie Openpetition und
Compact hätten einen bessere Ruf, sagt Weichert. „Die anderen Webseiten speichern ihre Daten auf europäischen Servern und müssen sich dementsprechend an die Datenschutz-Grundverordnung halten.“

Und wie steht’s um die Erfolge von Online-Petitionen? In wenigen Fällen konnten die Petitionen ein Umdenken der Landesregierungen oder von Firmen erreichen. Aber nicht alle Unternehmen hören zu, wenn empörte Bürger sich an sie richten. „Einige Firmen legen Wert auf die Meinung ihrer Konsumenten“, sagt ein Sprecher des Vereins Rettet den Regenwald. Aber gewöhnlich würden die großen Unternehmen vor Petitionen die Augen verschließen. „Wenige Firmen ändern ihre Politik. Der Großteil stellt sich taub“, sagt er.

Wird eine Petition nach Veröffentlichung im Internet innerhalb von vier Wochen von mindestens 50 000 Menschen unterstützt, beraten die Abgeordneten des Petitionsausschusses öffentlich über das Anliegen. Dazu muss der Initiator der Petition diese auf der Webseite www.epetitionen.bundestag.de nach der Vier-Wochen-Frist hochladen.

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