Nutzer als Versuchskaninchen

Saarbrücken · Das soziale Netzwerk Facebook hat absichtlich Abstürze seiner App auf Android-Handys verursacht. So testete der Konzern, ob Nutzer auf den Dienst verzichten oder auf die Webseite von Facebook zugreifen.

Diese Woche verkündete der Chef des Kurznachrichtendienstes Twitter , Jack Dorsey, dass in der Führungsetage des Unternehmens bedeutende Veränderungen bevorstehen. Vier von neun Mitgliedern des Vorstands werden Twitter verlassen. Der Konzern hat seit seiner Gründung keine Gewinne erzielt. Die Nutzerzahlen steigen zudem nur noch langsam, im dritten Quartal 2015 hatte Twitter 320 Millionen Nutzer. Das soziale Netzwerk Facebook hatte zu diesem Zeitpunkt nach eigenen Angaben hingegen rund 1,5 Milliarden Mitglieder. Und viele dieser Mitglieder benutzt das Online-Netzwerk als eine Art Versuchskaninchen.

Der Konzern habe vorsätzlich seine Facebook-App auf Smartphones zum Absturz gebracht, die mit dem Betriebssystem Android laufen. Das berichtet das Internet-Magazin The Verge unter Berufung auf einen ehemaligen Facebook Mitarbeiter. Der Konzern habe seine App so programmiert, dass sie viermal pro Stunde abstürzte. Die Anwender sollten denken, sie sei defekt. So sei getestet worden, ob die Nutzer die App links liegen lassen oder auf die mobile Webseite von Facebook zugreifen.

"Das Ausmaß der verdeckten Studie ist außergewöhnlich und mir von anderen Internet-Konzernen nicht bekannt", sagt Pascal Berrang. Er beschäftigt sich am Institut für IT-Sicherheit in Saarbrücken mit dem Thema Privatsphäre im Internet. 2015 gab es laut dem Portal statista.de allein in Deutschland 46 Millionen Smartphone-Besitzer, von denen 70 Prozent Android als Betriebssystem verwenden. Berrang vermutet, dass Facebook durch ein Update in der Vergangenheit einen Mechanismus aufgespielt hatte, der zu den Abstürzen führte. Mit den darauf folgenden Updates sei dieser Mechanismus wieder gelöscht worden. Der Konzern wollte herausfinden, was die Anwender in Kauf nehmen, um weiterhin in dem sozialen Netzwerk aktiv sein zu können, vermutet Pascal Berrang.

Laut The Verge führte das soziale Netzwerk einen weiteren Test durch. Dazu wurde die Facebook-App in einzelnen Ländern für eine Woche aus dem Google Play Store entfernt und konnte nur noch per Weblink installiert werden. Die Dienste Facebook-App, der Facebook-Messenger und Whatsapp stehen bei Nutzern hoch im Kurs. "Sobald die Facebook-App dort nicht mehr verfügbar war, haben die Nutzer die App direkt von der Facebook-Webseite auf ihr Handy geladen", sagt Daniel Berger vom IT-Fachmagazin c't. Auf Android-Handys können auch Apps installiert werden, die nicht über den Google Play Store angeboten werden, erklärt er. Dazu müssten Anwender nur die Voreinstellungen auf dem Smartphone ändern und somit Apps von fremden Quellen zulassen.

Die Sabotage-Experimente führte der Konzern in den vergangen Jahren durch. Wann und wo welche Nutzer davon betroffen waren, lässt sich für Außenstehende nicht erkennen. Für Berrang und Berger ist es nicht überraschend, dass die Versuche ausgerechnet auf Smartphone-Besitzer abzielten. Von 1,5 Milliarden Facebook-Mitgliedern riefen nach Angaben des Konzerns Ende vergangenen Jahres 47 Prozent das Netzwerk nur noch über mobile Geräte auf. "Das Unternehmen ist auf mobile Nutzer angewiesen", sagt Berger. Bei denen sind die Android-Handys vorherrschend und damit der Konzern Alphabet, dem Google , Android und der Google Play Store gehören. Er ist ein großer Konkurrenten vonFacebook, da er neben der Suchmaschine auch Kurznachrichten-Dienste anbietet. Laut dem Magazin The Verge habe sich die Stimmung zwischen beiden Konzernen massiv verschlechtert. So sei es möglich, dass Alphabet Facebook aus dem Play Store verbannt. Berrang glaubt, dass auch Facebook damit rechnet. "Das Netzwerk hat sich mit seinen Studien vergewissert, wie treu Facebook-Nutzer mit Android-Handys bei einem Ausfall bleiben", so Berrang.

Berger hält es indes für unrealistisch, dass Alphabet zu solch einem drastischen Mitteln greift und alle Facebook-Anwendungen entfernt. "Es würde einen Aufschrei geben, wenn Alphabet Facebook aus seinen Play Store rauswirft." Sowohl Facebook als auch Google werden den Konflikt nicht eskalieren lassen. "Google braucht hohe Zugriffszahlen auf seinen Play Store und wird mit so einer Maßnahme nur Nutzer verprellen", sagt der Redakteur. Und Facebook sei auf den Play Store angewiesen, um möglichst unkompliziert an neue Mitglieder zu kommen.

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