Neues aus der Gerüchteküche

Berlin · Verändern sich politische Diskussionen im Zeitalter sozialer Netzwerke wie Facebook? Darüber sprach SZ-Redaktionsmitglied Eva Lippold mit der Politikwissenschaftlerin Professor Marianne Kneuer von der Uni Hildesheim. Sie hat die politische Kommunikation in Online-Netzwerken erforscht.

Gerüchte über angebliche Verbrechen von Flüchtlingen oder Asylbewerbern haben Hochkonjunktur. Eine Webseite knöpft sie sich vor und rückt sie zurecht: "Hoaxmap" heißt das Projekt, eine interaktive Gerüchtelandkarte, die im Internet unter hoaxmap.org zu finden. Haben sich Flüchtlinge vor Autos geworfen, um Geld von der Versicherung zu kassieren? Gibt es für deutsche Kinder keine Kitaplätze mehr, weil sie an Flüchtlingskinder vergeben werden? Haben Flüchtlinge ein Pferd gestohlen und geschlachtet? Das Gerüchtespektrum ist breit und lässt kaum ein Thema aus.

Und ein Gerücht könne gar nicht absurd genug sein, als dass es nicht jemanden gebe, der es glaube, sagt Karolin Schwarz, die das Konzept zu der Plattform hoaxmap.org entwickelt hat. Die Masse der Gerüchte, von der sie seit vergangenem Sommer gehört hat, habe für sie den Ausschlag gegeben, die Webseite zu starten, erzählte die 30-Jährige. Und die Vehemenz, mit der sie sich verbreiten, nehme weiter zu.

"Als wir angefangen haben zu sammeln, hatte ich Suchmaschinen benutzt und Twitter beobachtet." Inzwischen kommen viele Hinweise auf entsprechende Gerüchte aber auch per Mail. Mehr als 230 Beispiele listet "Hoaxmap" bereits auf, aus ganz Deutschland von A wie Aschaffenburg bis W wie Wuppertal und darüber hinaus auch aus Österreich. Gerüchte über Einbrüche sind ebenso darunter wie solche über Plünderungen, Störung der Totenruhe, Tierquälerei oder versuchten Totschlag.

Ein Klick in die interaktive Karte führt zu dem betreffenden Ort und dem Gerücht, das mit ihm in Verbindung steht. Ein Link leitet weiter zur Berichterstattung der regionalen Presse, die den Fall gecheckt hat oder zum Polizeibericht dazu. Dort lassen sich dann die Fakten nachlesen, die zeigen, dass an dem Gerücht nichts dran ist. Schließlich listet die Webseite ausdrücklich Hoaxes auf, also Falschmeldungen. "Die Hoaxmap ist aus dem Wunsch entstanden, eine Ordnung in die Vielzahl gestreuter Gerüchte zu bringen", heißt es auf der Plattform. "Sämtliche Auflösungen sind etablierten Medien entnommen und verlinkt."

Nach der Beobachtung von Karolin Schwarz brodelt es in der Gerüchteküche seit Mitte 2015 noch deutlich mehr als zuvor. Bei dem ersten Fall, an den sie sich noch erinnert, ging es um Flüchtlinge , die angeblich in Leipzig gerade einen Supermarkt geplündert hatten. Auch die wildesten Gerüchte können sie kaum noch beeindrucken. "Überraschend ist nur, dass sie sich wirklich so stark verbreiten", sagt Schwarz. Eine bedeutende Rolle spielen bei der Verbreitung ihrer Ansicht nach soziale Netzwerke im Internet. "Die Gerüchte werden maßgeblich über Facebook gestreut", erklärt Schwarz. Auch in persönlichen Gesprächen habe sie von vielen Gerüchten erfahren, die sie zu der Gründung der Plattform bewegten. Am stärksten verbreiteten sich die unwahren Geschichten aber über soziale Netzwerke. Die Summe der Meldungen auf dem Portal wächst kontinuierlich. "Wir arbeiten auch noch Fälle aus 2015 nach", erklärt Schwarz. Viele Zusendungen seien bereits mit einer Quelle versehen, die das jeweilige Gerücht als falsch entlarvt.

hoaxmap.org

Frau Kneuer, Neuigkeiten auf Facebook sind für viele mittlerweile die Hauptnachrichtenquelle. Welche Folgen hat das?

Marianne Kneuer: Meine Sorge ist, dass gerade junge Menschen keine kontroversen Standpunkte mehr kennenlernen. Wenn Kinder etwas über Facebook von Freunden zugeschickt bekommen, lesen sie eher das, als dass sie sich in der Zeitung zu dem Thema informieren. Hinzu kommt: Wenn ich etwas von einem Freund empfohlen bekomme, stelle ich die Glaubwürdigkeit der Information meist nicht infrage und überprüfe nicht ihre Wertigkeit. So können sich Falschmeldungen ungefiltert verbreiten.

Wie groß ist die Gefahr, dass soziale Netzwerke für politische Zwecke missbraucht werden?

Kneuer: Einige Regierungen betreiben systematisch Propaganda in sozialen Netzwerken. Das sieht man am Beispiel Russland, wo die Falschmeldung, ein Mädchen in Berlin sei von Flüchtlingen vergewaltigt worden, systematisch ausgeschlachtet wurde. Dazu sind häufig gar keine Menschen mehr nötig, die aktiv posten, sondern es gibt inzwischen auch automatisierte Propaganda , sogenannte Bots, die immer wieder dieselben Stanzen verbreiten.

Welche Auswirkung haben politische Debatten in sozialen Medien auf die Politik?

Kneuer: Durch digitale Medien hat eine Beschleunigung stattgefunden, die den Handlungsdruck auf die Politik erhöht. Das führt aber dazu, dass ein ganz wichtiges Element in der Kette zu kurz kommt, nämlich die Reflexion. Auch Politiker müssen sich erst einen Überblick verschaffen, Informationen sammeln und mit verschiedenen Akteuren sprechen. Diese Zeit wird ihnen oft geraubt.

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