Nano-Stacheln als Bakterien-Killer

Die Materialwissenschaft kann von Mutter Natur immer noch viel lernen. Das zeigt eine Entwicklung der Uni Bochum. Dort untersuchten Forscher die Zikade. Sie hat ein Antibiotikum entwickelt, das vollständig ohne Chemie auskommt.

Bochum . Jeder siebte Krankenhauspatient, der in einer Intensivstation behandelt wird, infiziert sich mit Krankenhauskeimen, so die Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin. Damit zählen die sogenannten nosokomialen Infektionen zu den häufigsten Komplikationen. Die beste Gegenmaßnahme ist eine strikte Hygiene. Doch dafür muss nicht unbedingt die chemische Keule ausgepackt werden.

Wissenschaftler der Uniklinik Bergmannsheil und der Ruhr-Universität Bochum untersuchen einen verblüffenden Ansatz, um Bakterien den Garaus zu machen. Er verzichtet vollkommen auf Chemie und setzt stattdessen auf eine neue Oberflächenbeschichtung, die Mikroben wie Stacheldraht zerfetzen soll. Die Stacheln dieser antibakteriellen Oberfläche aus Titan werden allerdings nur in extremer Vergrößerung unter einem Elektronenmikroskop sichtbar, denn sie messen weniger als 0,01 Mikrometer - ein Mikrometer entspricht einem tausendstel Millimeter.

Die Idee der Forscher: Wenn die rund einen Mikrometer großen Bakterien auf der mit Nano-Stacheln gespickten Titan-Oberfläche niedergehen, zerstören diese Spieße die Mem-branen der Mikroben. Bei einer Reihe von Erregern habe dieses Verfahren in Labortests funktioniert, berichtet der Chirurg Manfred Köller.

Vorbild aus der Natur

Die Bochumer Forscher haben bei ihrer Entwicklung an einem Vorbild aus der Natur Maß genommen. Es stammt von der Zikade. Diese Tiere haben kurze Beine, aber lange Flügel und deshalb Probleme, ihre Flugwerkzeuge nach Insektenart zu reinigen. Dieses Handicap haben die Zikaden mit einer selbstreinigenden Flügeloberfläche ausgeglichen, die antibakterielle Wirkung hat, fanden australische Wissenschaftler heraus. Dabei spiele eine vergleichbare Stachelstruktur auf den Flügeln der Zikade, die ebenfalls nur in einem Elektronenmikroskop sichtbar wird, die Schlüsselrolle, so Manfred Köller. Und eben diese Schutzschicht des Zikadenflügels haben die Wissenschaftler der Ruhr-Universität nun aus Titan nachgebildet.

Das Medizin-Metall wird besonders häufig für Implantate verwendet, weil es vom menschlichen Immunsystem nicht abgestoßen wird. Weil bei Operationen jedoch immer das Risiko einer Infektion besteht, suchen Forscher weltweit nach Verfahren, die Implantate mit einem Bakterienschutz zu versehen. Auf diesem Weg sind die Bochumer Wissenschaftler mit ihrer neuen Nano-Oberfläche jetzt ein gutes Stück vorangekommen. Die Stachelschicht sei in Labortests bei einer großen Gruppe von Mikroben, den sogenannten gram-negativen Bakterien , wirksam gewesen, so Manfred Köller.

Bei sogenannten gram-positiven Bakterien , die dickere Membranen haben, sei die Wirkung deutlich schwächer, so der Mediziner. Deshalb wollen die Forscher ihre Titan-Oberfläche in einem nächsten Schritt zusätzlich mit einer Schicht aus Silber überziehen - Silberionen haben ebenfalls antibakterielle Wirkungen. Eine solche Beschichtung komme nicht nur für Implantate in Frage, sondern könne zum Beispiel auch Türklinken und Bettgestellen in Krankenhäusern antibakterielle Eigenschaften verleihen.

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