Mit Twitter gegen die Sturmflut

Hamburg · Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts sehen bei Twitter und Facebook Potenzial für den Katastrophenschutz. Rettungskräfte sollen durch Augenzeugenberichte aus sozialen Netzwerken schneller und besser auf Überschwemmungen und Sturmflut reagieren können.

Bilder von überschwemmten Kellern, schlammbedeckten Straßen und wasserdurchfluteten Wohnzimmern: Als der Sturm Xaver im vergangenen Dezember auf Hamburg traf, schlug er auch auf Twitter und Facebook hohe Wellen. Knapp drei Millionen Nachrichten wurden dazu innerhalb einer Nacht verbreitet. "#Xaver: Fischmarkt unter Wasser, nasse Füße in der Hafencity", twittert etwa ein Hamburger in der Sturmnacht.

Mit der digitalen Flut beschäftigt sich Hendrik Stange vom Fraunhofer-Institut in St. Augustin. Beim 9. Extremwetterkongress in Hamburg stellte der Wirtschaftsinformatiker die Informationstechnologie "Insight" vor, die unter anderem von der Europäischen Union und dem Bundesamt für Katastrophenschutz in Bonn gefördert wird. "Als Frühwarnsystem soll diese Technologie nicht nur den Bewohnern nützen, sondern auch dem Katastrophenschutz und den Rettungskräften vorab ein besseres Gesamtbild liefern", sagt Stange. Mit "Insight" wertet der Wissenschaftler wertet die persönlichen Eindrücke der Menschen in den betroffenen Gebieten aus und verbindet sie mit anderen Kanälen, etwa den Daten von Wetterstationen. "Daraus entsteht dann eine Art digitaler Fingerabdruck von Wetterereignissen", sagt Stange.

Dass die Meldungen auf Twitter und Facebook oft übertreiben, ist eine Schwäche des Programms. Daher werden die Nachrichten vom Computer vorsortiert, die Feinarbeit müssen die Forscher noch selbst erledigen. "Wenn es aber mehr als 500 Meldungen zu starkem Regen gibt, aber nur fünf zu Überflutungen sprechen, gibt uns das bereits eine gewisse Signifikanz", beschreibt Stange die Vorgehensweise. Das Programm solle den Experten jedoch nicht die Verantwortung abnehmen. "Mit Augenzeugenberichten können Facebook-Nutzer den Experten helfen, die richtige Entscheidung zu treffen", erklärt der Informatiker. Tweets und Facebookmeldungen stellen dabei lediglich ein zusätzliches Puzzleteil des Gesamtbildes dar. Bereits jetzt kann das Frühwarnsystem des Fraunhofer-Instituts über die App Katwarn genutzt werden.

Durchschnittlich veröffentlichen die Nutzer nach Stanges Erkenntnissen die meisten Tweets innerhalb von 15 Minuten nach Eintreten einer Katastrophe. Als Hurrikan Sandy im Dezember 2012 in den USA wütete, konnten die Bewohner dank Millionen von Tweets und Mitteilungen frühzeitig wissen, in welchen Stadtteilen der Strom ausgefallen war.

Mit einem "Insight" vergleichbaren System arbeiten die Vernetzungsstrategien von IBM . "Soziale Netzwerke stellen dabei nur einen Informationsbaustein unter vielen dar", erläutert Hans-Jürgen Rehm von IBM Deutschland. Auch hier sollen verfügbare Informationen von Polizei , Wetterdienst, klassischen Medien und sozialen Netzwerken zusammengeführt werden und als Alarmsystem dienen. Nachdem im April 2010 in Rio de Janeiro in Brasilien 15 000 Menschen bei Überflutungen obdachlos wurden, soll dort nun im Ernstfall das Rio Operations Center helfen. "Das Operations Center informiert dann via Twitter seine über 50 000 Nutzer", sagt Rehm. Stehen schwere Unwetter bevor, können Schlüsselpersonen und Bürger in den jeweiligen Stadtvierteln per SMS benachrichtigt und Sirenen zur Evakuierung aktiviert werden.

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