Mein Haus, mein Auto, meine Bohrmaschine

Frankfurt/Main · Ein Klick, und die Kreissäge ist für einen weiteren Tag verliehen. Immer mehr Online-Plattformen im Internet helfen, den eigenen Besitz unkompliziert an andere Personen weiterzugeben. Wird das die Gesellschaft verändern? Experten sind skeptisch.

Der schwarze Kombi glänzt. Das Auto ist fast nagelneu, und doch vermietet es sein Besitzer regelmäßig an Wildfremde. Achim Gnadt macht es nichts aus, sein liebevoll ausgesuchtes und gepflegtes Fahrzeug zu teilen. Er macht es auch nicht umsonst. Der Student bessert so sein monatliches Einkommen auf. "Mein Ziel ist, die Fixkosten für das Auto abzudecken", sagt Gnadt. In guten Monaten bekommt der Student rund 300 Euro zusammen. Zugleich freue er sich, wenn er anderen Menschen mit der Leihgabe das Leben vereinfachen könne. Damit ist der 22-Jährige nicht allein.

Vom Auto bis zum Brautkleid

Die Online-Plattform, die der angehende Wirtschaftsinformatiker nutzt, ist vergangenes Jahr um die Hälfte gewachsen. Mit mehr als 55 000 Nutzern und knapp 6000 verfügbaren Autos ist tamyca.de eigenen Angaben zufolge Marktführer in Deutschland. Auch die Zahl der Internet-Angebote, über die sich Interessenten für die Bohrmaschine, das Brautkleid, den Parkplatz und für übriggebliebenes Essen finden lassen, steigt. Wer sich beispielsweise auf der Seite frents.com anmeldet, kann in seiner direkten Nachbarschaft nach DVDs, Klamotten oder Küchengeräten suchen, die gerade nicht gebraucht und deshalb im Internet verliehen werden. Selbst die eigenen vier Wände lassen sich vermarkten: Die Plattform airbnb.com, über die private Wohnungen gemietet werden können, macht der herkömmlichen Reisebranche weltweit Konkurrenz.

Das Phänomen des Tauschens und Verleihens mithilfe von Internetportalen wird unter dem englischen Begriff Sharing Economy zusammengefasst. Schon seit Jahren wird die wachsende Lust daran als Internet-Trend beschrieben, der Potenzial habe, Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend zu verändern.

Diejenigen, die mitmachen, sind nach Forschungsergebnissen des Lüneburger Soziologen Harald Heinrichs in der Mehrheit jünger als 39 Jahre. Der Experte unterscheidet zwei Gruppen: auf der einen Seite die sogenannten Konsumpragmatiker, die Geld sparen wollen. Auf der anderen Seite stünden Nachhaltigkeit, Umweltschutz und die bessere Nutzung vorhandener Ressourcen im Fokus. Diese Gruppe hoffe etwa, dass weniger Autos produziert werden, wenn sich mehr Menschen ein Fahrzeug teilen.

Die breite Masse fehlt

Den bisher erreichten Stand der Tauschkultur im Web beurteilt der Soziologe zurückhaltend: "Von einer Revolution würde ich nicht sprechen." Denn mehr als die Hälfte der Bundesbürger könne mit dem wachsenden Angebot an Internet-Plattformen noch nichts anfangen. "Konsumpraktiken sind Routinen und die ändern Menschen nicht von heute auf morgen." Jüngere Nutzer hätten aber durchaus ihr Kaufverhalten umgestellt. Das beobachtet auch Konsumforscherin Birgit Blättel-Mink. Die neuen Plattformen im Internet hätten das unter Nachbarn altbewährte Weitergeben und Tauschen auch für technikbegeisterte junge Menschen attraktiv gemacht, so Blättel-Mink.

Die Sharing Economy könne durchaus zu nachhaltigerem Wirtschaften führen, meint Soziologe Heinrichs. Dazu müsse sie sich aber weiter ausbreiten können. Hier sieht er die Politik in der Pflicht. Diese müsse die steuer- und versicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen für die Leihkonzepte erarbeiten, damit sich die Teilkultur im Netz auch in Deutschland durchsetzen könne.

tamyca.de

frents.com

airbnb.com

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