Lauschangriff auf einen Kometen

Seit zehn Jahren ist die Esa-Raumsonde Rosetta im All unterwegs. Am 12. November wird sie 500 Millionen Kilometer von der Erde entfernt ihren Landeroboter Philae auf dem Kometen Churyumov-Gerasimenko absetzen. Ein solches Manöver ist nie zuvor gewagt worden. An Bord des Roboters ist ein Akustik-Sensor des Fraunhofer-Instituts für zerstörungsfreie Prüfverfahren in Saarbrücken.

 Dieses Foto des rund vier Kilometer großen Kometen Churyumov-Gerasimenko schoss die Rosetta-Sonde vor wenigen Tagen. Foto: Esa

Dieses Foto des rund vier Kilometer großen Kometen Churyumov-Gerasimenko schoss die Rosetta-Sonde vor wenigen Tagen. Foto: Esa

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Saarbrücken . Was ist die wichtigste Eigenschaft, die ein Raumfahrtingenieur neben Fachwissen benötigt? Geduld. Sehr viel Geduld. Das zeigt beispielhaft die Kometenmission Rosetta der europäischen Weltraumagentur Esa. Ihre Planung begann im Jahr 1986 . Da gab es noch zwei deutsche Staaten, der Bundeskanzler hieß Helmut Kohl und der Personal Computer begann, die Schreibmaschine in den deutschen Haushalten zu verdrängen. Zehn Jahre später war die Planung dieser eine Milliarde Euro teuren Mission abgeschlossen. DDR und Bundesrepublik waren wieder ein Staat und Mobiltelefone konnten SMS versenden. Als am 2. März 2004 die Rosetta-Sonde tatsächlich mit einer Ariane-5-Rakete abhob, gab es mit dem Euro eine gemeinsame europäische Währung, und das Smartphone begann, dem PC Konkurrenz zu machen.

Jetzt sind abermals zehn Jahre vergangen. Die Rosetta-Sonde und ihr Landeroboter Philae sind endlich am Ziel, dem Kometen Churyumov-Gerasimenko, angelangt. Vom ursprünglichen Team, das diese Mission plante und die Sonde konstruierte, sind nach drei Jahrzehnten nicht mehr viele Mitglieder dabei. Zu ihnen gehört Professor Walter Arnold aus Saarbrücken . Der promovierte Physiker ist heute 70 Jahre alt und eigentlich seit 2008 im Ruhestand. Sobald das Gespräch auf Rosetta kommt, ist davon jedoch keine Rede mehr. "Mir war von Anfang an klar, dass ich unser Experiment über den Ruhestand hinaus betreuen wollte", so Walter Arnold . "Unser Experiment", das ist der am Fraunhofer-Institut für Zerstörungsfreie Prüfverfahren (IZFP) in Saarbrücken entwickelte Sensor "Casse" ("Cometary Acoustic Surface Sounding Experiment"), der die elastischen Eigenschaften des Kometenmaterials untersuchen soll. Arnold, bis 2008 Leiter der Abteilung Grundlagen am IZFP, entwickelte ihn mit seinen Kollegen Dr. Wolfgang Gebhardt und Rudolf Licht ab 1997.

Am 12. November wird die Rosetta-Sonde, die den Kometen dann in nur noch drei Kilometern Abstand umkreist, ihren Philae genannten Landeroboter, ein Hightech-Würfel von gut einem halben Kubikmeter Volumen und 100 Kilogramm Masse, mit einem Federmechanismus ausklinken. Sieben Stunden später soll der Roboter in einem 1000 Meter messenden Zielkreis auf der Oberfläche von "Tschuri", wie der Komet mittlerweile genannt wird, mit der Geschwindigkeit eines Fußgängers aufsetzen. Niemals zuvor in der Geschichte der Raumfahrt ist ein so kompliziertes Manöver gewagt worden. Weil Rosetta im November rund 500 Millionen Kilometer von der Erde entfernt ist - Funksignale benötigen über 28 Minuten für die Strecke - kommt eine Fernsteuerung auf den letzten Kilometern nicht in Frage. Die Landung wird von der Sonde autonom gesteuert. Da Tschuri fast keine Schwerkraft hat, wird Philae bei der gegen 17 Uhr erwarteten Landung zwei Harpunen in den Boden schießen, um sich sicher zu verankern, und von den drei Teleskopbeinen bohren sich Schrauben in den Untergrund.

Zehn Instrumente hat Philae an Bord, das Saarbrücker Modul Casse ist Teil eines Sensorenpakets, das den Boden unter dem Landegerät untersucht. Dazu gehören drei piezoelektrische Elemente in den zehn Zentimeter messenden, tellerförmigen Füßen des Dreibeins, mit dem das Landegerät aufsetzt. Ein piezoelektrisches Element enthält Materialien, die elektrische Impulse in Schallwellen umwandeln und umgekehrt auch Schall in elektrische Impulse verwandeln können. Die Sensoren funktionieren damit im Prinzip wie Mikrofon und Lautsprecher und wirken ähnlich wie ein Echolot.

Casse hat zwei Betriebsmodi. Die Sensoren können passiv in den Untergrund horchen oder selbst Signale in den Boden senden und die reflektierten Schallwellen auswerten. Sie werden bereits im Augenblick der Landung aktiv, so Arnold. Denn schon aus der Art des Aufsetzens kann die hochempfindliche Technik Daten über die Elastizität des Untergrunds gewinnen und so zum Beispiel zwischen Eis und Sand unterscheiden. Ob die Landung gelingt, hängt allerdings von vielen Unwägbarkeiten ab. Die mittlere Dichte des unregelmäßig geformten Kometen entspricht nach den Esa-Messungen der eines trockenen Schwamms. "Wir hoffen auf eine Landestelle, die ein sicheres Aufsetzen erlaubt", so der Professor für Werkstofftechnik der Saar-Universität. Fatal wären eine Spalte oder ein großer Felsbrocken, so die Esa, "oder ein Material wie Zigarettenasche, in dem der Lander versinkt", so Walter Arnold .

Wenn bei der Landung alles gutgeht und die Stromversorgung der Solarzellen durchhält, werden die Sensoren monatelang arbeiten. "Wir hoffen, dass wir damit den Boden bis in mehrere Meter Tiefe untersuchen und auch seismische Aktivität registrieren können", so Walter Arnold . Unter idealen Umständen könnte die Sonde nach den Schätzungen der europäischen Raumfahrtagentur bis März 2015 Daten von Tschuri senden. Dann wird es auf dem Kometen so heiß, dass die Elektronik ausfällt. Für Philae wäre die Mission damit vorüber. Für Walter Arnold "ist der Job aber noch lange nicht zu Ende". Eigentlich fange die Arbeit dann erst richtig an. "Wir müssen mit dem Team der DLR schließlich jede Menge Daten auswerten."

 Am 12. November wird der Roboter Philae der Esa-Raumsonde Rosetta 500 Millionen Kilometer von der Erde entfernt auf dem Kometen Churyumov-Gerasimenko niedergehen. Grafik: Esa/Medialab

Am 12. November wird der Roboter Philae der Esa-Raumsonde Rosetta 500 Millionen Kilometer von der Erde entfernt auf dem Kometen Churyumov-Gerasimenko niedergehen. Grafik: Esa/Medialab

 Professor Walter Arnold, Wolfgang Gebhardt und Rudolf Licht (von links) entwickelten den Saarbrücker Sensor der Sonde Philae, die im November auf dem Kometen landen soll. Foto: Iris Maurer

Professor Walter Arnold, Wolfgang Gebhardt und Rudolf Licht (von links) entwickelten den Saarbrücker Sensor der Sonde Philae, die im November auf dem Kometen landen soll. Foto: Iris Maurer

Foto: Iris Maurer

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HintergrundKometen sind für Astronomen wichtige Studienobjekte, weil in ihnen Material aus der Frühzeit des Sonnensystems konserviert ist. Churyumov-Gerasimenko ist unregelmäßig geformt. Sein Durchmesser schwankt zwischen drei und fünf Kilometern. Für einen Sonnenumlauf benötigt er sechseinhalb Jahre. Der Komet entstand vor 4,5 Milliarden Jahren, als zwei kleinere Himmelskörper miteinander verschmolzen. byl

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