Künstliche Intelligenz fürs Auto von morgen

Saarbrücken · Professor Wolfgang Wahlster: Deutsche Forscher haben bei der Entwicklung autonomer Fahrzeuge das Steuer in der Hand.

Autonomes Auto? Ja, klar doch. Das ist Sache der Roboter-Spezialisten im Silicon Valley. Daran schrauben Teslas Ingenieure und Google-Programmierer, und das iMobil von Apple ist wahrscheinlich auch mehr als nur ein Gerücht. Wenn der Fortschritt in den nächsten Gang schaltet, werden Hightech-Firmen aus den USA jedenfalls auf der Überholspur zu finden sein, lautet die landläufige Ansicht. Wirklich? Keineswegs, antwortet Professor Wolfgang Wahlster, Chef des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Saarbrücken. Das sei die verzerrte Weltsicht, die sich einstelle, wenn man das Thema durch die Internet-Brille betrachte. Deutsche Unternehmen seien der US-Konkurrenz derzeit um Längen voraus. Seit dem Jahr 2010 kommen zwei Drittel aller Patentanmeldungen zum autonomen Fahren aus Deutschland. Am fleißigsten seien die Ingenieure von Bosch, die sich allein so viele Ideen (545) schützen ließen, wie alle einschlägigen US-Unternehmen zusammengenommen.

Wolfgang Wahlster kennt sich aus bei diesem Thema. Das DFKI forscht seit Jahren am autonomen Automobil. Im Projekt SIM-TD entwickelten die Informatiker 2011 Software fürs vernetzte Fahrzeug der Zukunft. "Das Thema hat mich nie losgelassen", erklärt der DFKI-Chef, der seine Karriere in der Informatik mit Arbeiten zur "Sprachlichen Beschreibung dynamischer Bildfolgen" begann.

Heute erinnern wir uns kaum noch, wie es in den 1980er Jahren um Rechenleistung und Speicherplatz bestellt war. Die damaligen Testfahrzeuge waren umgebaute Oberklasse-Limousinen und bis zum Dach vollgestopft mit Elektronik. Doch schon diese Dinosaurier des Digitalzeitalters, die damals von Professor Ernst Dickmanns von der Universität der Bundeswehr entwickelt worden waren und autonom Tempo 100 fahren konnten, seien allen US-Entwicklungen überlegen gewesen, erinnert sich Wahlster. Dass diese Fahrzeuge über das Laborstadium trotzdem nicht hinauskamen, habe an den Kosten dieser Technik gelegen, aber auch daran, dass sich die Autobosse in den 1990er Jahren schlicht nicht vorstellen konnten, dass sich jemals ein Kunde für dieses Thema würde erwärmen können, erinnert sich der DFKI-Chef.

Es hat sich einiges geändert seither. Die Technik ist billiger und leistungsfähiger geworden, Navigationssysteme mit digitalen Karten höchster Auflösung sorgen dafür, dass automobile Roboter nicht mehr vom rechten Weg abweichen. Außer Kameras kann die Auto-Elektronik ihre Umwelt mittlerweile auch mit Laser-, Radar- und Ultraschallsensoren überwachen.

Am wichtigsten sind aber die Fortschritte bei der Software, vor allem bei Verfahren der Künstlichen Intelligenz. Für ein neuronales Netzwerk, einen selbstlernenden Computer, ist heute ein Laserscan, ein Radar- oder Videobild mehr als nur ein Pixelmuster. Solche Rechnersysteme erkennen darin Autos, Radfahrer und spielende Kinder. Und weil neun von zehn Unfällen auf menschliches Versagen zurückgehen, lautet ein Argument fürs autonome Auto: "Es macht das Fahren sicherer." Auch dass sich mit der Computertechnik der Verbrauch nochmals ein wenig reduzieren lässt wird viele Autobesitzer interessieren.

Die anderen Argumente, die Wolfgang Wahlster nennt, zeigen allerdings, welche weiteren Interessen bei dieser Entwicklung eine wesentliche Rolle spielen. Im autonomen Betrieb können Autos praktisch Stoßstange an Stoßstange fahren. "Bei zunehmendem Verkehr sind damit weniger Straßen nötig", erklärt der DFKI-Chef.

Durch diese Technik lasse sich die Zahl der Parkhäuser in Innenstädten um ein Drittel reduzieren, weil weniger ungenutzte Fahrzeuge herumstehen. Das wird für die wachsenden Megastädte der Zukunft wichtig werden. Merke: Ein wirklich autonomes Auto kann auch allein fahren. Es könnte eine Familie in die Stadt bringen, im Solo-Modus einen geeigneten Parkplatz an der Peripherie suchen, um dann zurückzukehren, sobald seine Passagiere danach verlangen.

Mehrere Entwicklungsstufen unterscheiden die KI-Forscher auf dem Weg vom Auto mit automatisierten Hilfsfunktionen zum wirklich autonomen Roboterfahrzeug. Wobei auch das am weitesten entwickelte Roboterauto anfangs keineswegs perfekt sein wird. Zuerst werden diese Fahrzeuge einfache Aufgaben wie längere Autobahnfahrten autonom bewältigen können. Die nächste Schwierigkeitsstufe werde die Fahrt mit Gegenverkehr auf Landstraßen sein. Erst später folgen Lösungen für die komplizierteste Aufgabe: den Stadtverkehr.

Doch absolut autonom ist das Auto der Zukunft auch dann noch nicht. Der Stadtverkehr in Saarbrücken unterscheide sich zum Beispiel erheblich von dem in Paris und London. Für den Verkehr in Metropolen wie auch für andere spezielle Einsatzzwecke müssen Neuronale Netze - Computer, die nach dem Vorbild des Gehirns lernen - besonders trainiert werden. Sie benötigen Updates. "Diese zusätzliche Software für spezielle Anwendungsfälle wird dann in den Aufpreislisten der Automobilhersteller zu finden sein", sagt der Leiter des DFKI voraus. Das autonome Auto, das vom Start weg alles kann, werde es so schnell nicht geben.

In zehn Jahren erwartet der DFKI-Chef autonome Fahrzeuge auf unseren Straßen, die einfache Aufgaben selbstständig bewältigen können. Davor gelte es aber noch eine wichtige technische Hürde zu nehmen. Erst das Mobilfunknetz der fünften Generation, das ab 2020 aufgebaut werden soll, werde eine wirklich störungsfreie Kommunikation dieser Fahrzeuge garantieren können. Mit dieser zusätzlichen Sicherung sollen Unfälle zwischen autonomen Fahrzeugen ausgeschlossen werden. Und falls bei einem anderen Auto kein Roboter, sondern ein Mensch am Steuer sitzt? "Genau das", sagt Wolfgang Wahlster, "ist für uns Informatiker die größte Herausforderung. Wir müssen Verfahren finden, autonome Autos sicher durch gemischten Verkehr fahren zu lassen."

Für einen speziellen Zweck entwickeln die DFKI-Informatiker in Saarbrücken bereits ein Trainingsprogramm für die Auto-Software der Zukunft. Es geht um den Schutz der kleinsten Verkehrsteilnehmer. Damit ein Roboterauto unter allen Licht- und Sichtverhältnissen ein Kind auf der Straße erkennen kann, werden tausende synthetische Filme erzeugt, die Unfallabläufe mit Kindern zeigen. Durch die Analyse dieser Bildsequenzen sollen lernfähige Computerprogramme für das Roboterauto schließlich das Wissen erwerben, das nötig ist, um solche Zusammenstöße im wirklichen Leben unter allen Umständen vermeiden zu können.

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