Konzerne wollen weiter kassieren

Brüssel · Eigentlich sollten in diesem Jahr die Weiterleitungsgebühren für Handy-Dienste in Europa entfallen. Doch nun scheint fraglich, ob es tatsächlich noch im Jahr 2015 dazu kommt.

Auch wenn die Schlagbäume längst abgebaut sind und am Zollhäuschen kaum noch jemand seinen Pass zücken muss - ein Signal holt Reisende noch immer jäh aus wolkigen Träumen eines grenzenlosen Europa zurück: das Plingpling der SMS, die Auslandsgebühren fürs Handy ankündigt. Eigentlich sollte es damit Ende 2015 vorbei sein, das haben die EU-Kommission und -Parlament beschlossen. Doch ob das Gesetz wirklich dieses Jahr in Kraft tritt, ist fraglich.

Der zuständige EU-Ministerrat hat sich jedenfalls noch nicht auf einen Termin zur Abschaffung der Roaming-Gebühren festgelegt. Stattdessen wollten die Mitgliedstaaten "2015 Zeit darauf verwenden, um zu einer gemeinsamen Haltung zu kommen", sagte Matthias Machnig, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Wichtig sei, dass es nicht zu Marktverzerrungen komme.

Genau das befürchtet die europäische Telekomregulierungsbehörde Berec in einer Stellungnahme und rät von der Abschaffung der Gebühren ab. Diese wäre "derzeit weder machbar noch praktisch umzusetzen", heißt es. Handytarife und Konsummuster in der EU seien zu unterschiedlich.

Klar ist, dass sich Telefonanbieter gegen die Gebührensenkung heftig wehren. "Die Preise für Inlandstelefonate und mobile Internetnutzung würden zwangsläufig steigen", warnt der IT-Branchenverband Bitkom. Damit würden normale Handynutzer zu Hause dafür zur Kasse gebeten, dass Geschäftsleute im Ausland billiger telefonieren und surfen können. Tatsächlich seien solche Effekte bereits zu beobachten, berichtet Sprecher John Phelan vom EU-Verbraucherverband. Denn die Roaming-Gebühren sind auf Druck der EU in den vergangenen Jahren dramatisch gesunken, nach Angaben der EU-Kommission seit 2007 um mehr als 80 Prozent.

Zuletzt mussten die Anbieter zum 1. Juli 2014 die Gebühr für Telefonate im EU-Ausland um fünf Cent zurücknehmen, von 24 auf 19 Cent plus Mehrwertsteuer . Eine SMS kostet seither für deutsche Kunden einschließlich Mehrwertsteuer in Europa höchstens 7,1 Cent statt 9,5 Cent. Der Preis für das Surfen sank sogar um mehr als die Hälfte, von 53,5 auf 23,8 Cent pro Megabyte Daten.

Darauf hätten einige Telefongesellschaften mit verdeckten Preiserhöhungen reagiert, sagt Verbraucherschützer Phelan. Einzelne Anbieter versuchten, Einbußen wettzumachen, indem sie den Abrechnungstakt verkürzten oder die Datenmenge in Paketangeboten reduzierten. Der Verbraucherverband hält solche Reaktionen für abwegig. Denn zum einen machten die Roaming-Gebühren nur einen Bruchteil der Einnahmen der Telefongesellschaften aus. Zum anderen blockierten die Extrakosten einen riesigen Wachstumsmarkt. Die Telekomanbieter schnitten sich demnach ins eigene Fleisch.

Handynutzung im Urlaub

So argumentiert auch die EU-Kommission und verweist auf eine Umfrage unter 28 000 Bürgern. Demnach beschränken neun von zehn Verbrauchern im EU-Ausland aus Furcht vor der Preiskeule den Zugriff auf Internetdienste, jeder Zweite verzichtet auf die Internet-Nutzung, jeder Vierte schaltet sein Handy sogar ab. Surfen, simsen und reden sie alle künftig angstfrei drauflos, winkten den Telekom-Anbietern dagegen zusätzliche Geschäfte, meint Phelan.

Die Telekombranche glaubt offenbar nicht daran und klagt, man sei noch dabei, Vorschriften von 2012 umzusetzen, wonach sich Kunden unabhängig von ihrem Heimatvertrag einen Roaming-Anbieter wählen dürfen. Das koste bereits 500 Millionen Euro, erklärt Bitkom. Darüber hinaus seien die Anbieter aufgerufen, ihre Netze für Milliardenbeträge auszubauen. "Diese Investitionskosten müssen zurückverdient werden."

Im EU-Ministerrat finden die Bedenken genügend Gehör, um eine einheitliche Linie der 28 Länder zu durchkreuzen. Dort betont man die Schwierigkeiten: Wenn ein Bürger zu Hause nur eine Billigflatrate zahlt und in einem anderen EU-Land mit hohen Tarifen Urlaubsvideos hochlädt, sollen ihn die Einheimischen dann unterstützen? Welche Instanz sorgt für finanziellen Ausgleich? Alles kompliziert, alles ungelöst, heißt es. Statt Ende 2015 wird nun das Datum 2016 für ein Ende der Extragebühren erwogen.

Dass Gegner die Abschaffung auf Dauer verhindern können, glauben Verbraucherschützer aber nicht. Auch EU-Vizekommissionspräsident Andrus Ansip drängt die Mitgliedsländer. Er meint, die künstlichen Gebührengrenzen hätten einfach keinen Platz im gemeinsamen Binnenmarkt.

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