Eltern verkennen oft die Risiken Kontroverse über Kinderfotos im Netz

Berlin · Eltern unterschätzen häufig die Risiken, die eine Veröffentlichung von Bildern der Kleinsten im Internet mit sich bringt.

 Mit dem Smartphone halten viele Eltern heutzutage jeden Schritt ihrer Kinder fest. Der Stolz auf die Sprösslinge verleitet dabei oft dazu, die Bilder im Internet zu verteilen. Risiken für die Kinder und Persönlichkeitsrechte werden dabei oft übergangen.

Mit dem Smartphone halten viele Eltern heutzutage jeden Schritt ihrer Kinder fest. Der Stolz auf die Sprösslinge verleitet dabei oft dazu, die Bilder im Internet zu verteilen. Risiken für die Kinder und Persönlichkeitsrechte werden dabei oft übergangen.

Foto: dpa-tmn/Rainer Holz

Das erste Lachen – klick! Die ersten Schritte – klick! Das erste große Geschäft auf dem Töpfchen – klick! Die ersten Jahre vieler Kinder sind heute nahezu lückenlos dokumentiert. Stolze Eltern halten so viele Momente wie möglich fest - und teilen sie auf Whatsapp mit der Familie oder auf Instagram gleich mit der ganzen Welt. Wie die Kinder das irgendwann finden, diese Frage stellen sich aus Sicht von Experten viel zu wenige Eltern.

Das Deutsche Kinderhilfswerk startete deshalb die Kampagne #ErstDenkenDannPosten, die Bloggerin Toyah Diebel forderte mit dem Projekt #DeinKindAuchNicht, für das sie Schauspieler Wilson Gonzalez Ochsenknecht aufs Töpfchen setzte, einen sensibleren Umgang mit der Privatsphäre von Kindern.

 „Das Thema gibt es nun schon seit Jahren, und ganz ehrlich hat sich fast nichts geändert“, sagt der renommierte Cyberkriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger vom Institut für Polizeiwissenschaft der Hochschule der Polizei in Brandenburg. Mehr als 90 Prozent aller Zweijährigen seien laut einer US-Studie heute schon im Netz präsent. Wer auf Instagram nach dem Hashtag #Instakids sucht, kommt auf fast 20 Millionen Treffer. Darunter sind nicht nur erschreckend freizügige Bilder von Kindern, sondern auch solche, die dem Nachwuchs, würde er gefragt, womöglich peinlich wären.

Die Pädagogik-Professorin Nadia Kutscher von der Uni Köln, die gemeinsam mit dem Deutschen Kinderhilfswerk eine Untersuchung zur Mediennutzung in Familien durchgeführt hat, erklärt, dass die Persönlichkeitsrechte von Kindern oft verletzt werden und das von ihren eigenen Eltern. „Kinder selbst haben oftmals genaue Vorstellungen davon, wer welche Bilder von ihnen sehen darf. Sie möchten an der Entscheidung beteiligt werden. Aber die Eltern fragen sie in der Regel gar nicht.“

Rein rechtlich müssen sie das auch nicht, sagt Daniel Kötz, Experte für Medien- und Urheberrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV). Zumindest nicht, solange die Kinder noch sehr jung sind. „Das Recht am eigenen Bild bei Kindern wird von den Eltern ausgeübt.“ Erst wenn die Einsichtsfähigkeit beim Kind einsetzt – in der Regel ab 14 Jahren – kann es dieses Recht auch selbst ausüben.

Nach Angaben von Pädagogin Kutscher wird vor allem in weniger privilegierten Familien der explizite Wunsch der Kinder, nicht gezeigt zu werden, von manchen Eltern übergangen. Ihre Begründung laute: „Aber das sieht doch so witzig aus.“ Dabei könnten viele Eltern gar nicht überblicken, was die Präsenz ihrer Kinder im Netz bedeutet, sagt der Cyberkriminologe Rüdiger. „Wir wissen ja noch nicht, welche biometrischen Daten später mal aus Fotos herausgelesen werden können.“ Die größte Gefahr sei aber weiterhin, dass Kriminelle wie Sexualtäter oder auch Stalker die veröffentlichten Informationen über die Kinder nutzten. Es gebe beispielsweise Seiten, die vollautomatisch Bilder von Instagram-Konten kopieren und im Netz anbieten, sagt Rüdiger. „Und dazu kommt noch, dass Kindern durch die Eltern eine Art feste digitale Identität gegeben wird, bevor diese selbst die Möglichkeit haben sich auch im Netz zu definieren.“

Eltern, die Fotos vom Nachwuchs hochladen, stellen ihre Bedürfnisse über die ihrer Kinder, sagt Rüdiger. „Aber das Internet ist ein Ort geschaffen von Erwachsenen für Erwachsene und kein Ort für Kinder.“ So lange das Netz kein kindersicherer Ort sei, hätten Kinder dort nichts verloren. Auch Fotos als Whatsapp-Status oder Profilbild einzustellen, hält der Kriminologe für unklug. „Sie laufen ja auch nicht durch die Stadt und drücken Menschen, die Sie nur flüchtig kennen, Polaroid-Bilder von ihrem Kind in die Hand.“ Normalerweise sei es Aufgabe der Eltern, die Risiken für ihre Kinder zu minimieren. „Im Netz erhöhen Eltern diese sogar noch, vor allem durch Kinderbilder.“

Rüdiger hält es darum für wichtig, Netzwerke wie Instagram und Facebook in die Pflicht zu nehmen. „Auf der einen Seite ist es möglich, mit Filter-Einstellungen nackte Brüste zu finden und zu löschen. Gleichzeitig gibt es aber Tausende auch problematische Bilder von Kindern und Kommentaren sexueller Natur dazu.“ Anders sieht das Anwalt Kötz: „Ich glaube – und das ist meine persönliche Meinung – dass sich 99 Prozent aller Menschen über diese Frage überhaupt keine Gedanken machen.“ Das Thema werde überbewertet, da die meisten Menschen weder beim Hochladen noch beim Betrachten der Fotos etwas Böses im Sinn hätten.

Das Deutsche Kinderhilfswerk wirbt für einen Mittelweg. „Kinder sind Teil unserer Gesellschaft und sollten darum auch im Netz sichtbar sein“, sagt Sophie Pohle von der Koordinierungsstelle Kinderrechte. „Die wichtigste Frage dreht sich also nicht darum, ob Kinderfotos im Netz überhaupt gepostet werden dürfen oder nicht, sondern in welcher Art und Weise das geschieht.“

(dpa)
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