Kinder und Jugendliche gefährdet Wenn das Zocken zur Sucht wird

Hamburg · Entwickler von Computerspielen finden immer neue Wege Kinder und Jugendliche noch stärker an den Rechner zu binden.

 Ballerspiele wie Halo haben eine große Fangemeinde und verleiten diese zu teils immensen finanziellen Ausgaben.

Ballerspiele wie Halo haben eine große Fangemeinde und verleiten diese zu teils immensen finanziellen Ausgaben.

Foto: dpa/dpaweb/Z1021 Peter Endig

Ein Viertel der Jugendlichen in Deutschland spielt jeden Tag Videospiele. Welche Suchtgefahr, davon ausgeht, hat die Studie „Geld für Games – wenn Computerspiel zum Glücksspiel wird“ untersucht. Das Markt- und Meinungsforschungsinstitut Forsa hat im Auftrag der Krankenkasse DAK und des Deutschen Zentrums für Suchtfragen am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf rund 1000 Kinder und Jugendliche zu ihrem Videospielverhalten befragt. Knapp drei Viertel der Jugendlichen zwischen zwölf und 17 Jahren in Deutschland spielen demnach mindestens einmal wöchentlich am Computer.

Im Schnitt etwa zweieinhalb Stunden täglich. 15,4 Prozent der regelmäßigen Spieler zeigen dabei Anzeichen einer Spielsucht, erklärt Studienleiter Dr. Rainer Thomasius, ärztlicher Leiter des Zentrums für Suchtfragen. Das entspreche rund 465 000 Kindern und Jugendlichen dieser Altersgruppe in Deutschland. Rund 80 Prozent davon seien Jungen. 3,3 Prozent der Betroffenen erfüllten sogar die Kriterien einer Computerspielabhängigkeit mit Entzugserscheinungen und Kontrollverlusten, so Thomasius. Die Sucht kann laut Deutschem Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters zu körperlicher Erschöpfung, innerlicher Unruhe oder gar Depressionen führen. Oft entstünden Konflikte in der Familie und das Sozialleben leide.

Auch Daniel Schmitt (Name von der Redaktion geändert) merkte irgendwann, dass sein Spielverhalten problematische Züge angenommen hatte. Der heute 25-Jährige erzählt, dass er schon mit sechs Jahren die erste Spielekonsole geschenkt bekommen habe, mit der er zunächst nur gelegentlich spielte. „Erst gegen Ende der Realschulzeit habe ich so richtig mit dem Zocken angefangen.“ Auslöser dafür sei die Veröffentlichung eines Spiels gewesen, auf das er und seine Freunde lange gewartet hätten. Zunächst fand er nichts dabei, täglich am Computer zu sitzen. Viele seiner Freunde spielten mit ihm, sodass es auch der Kontaktpflege diente. Als er die Fachoberschule abgeschlossen hatte und ins Studium wechselte, verbrachte er jedoch Stunde um Stunde vor dem Bildschirm.

„Durch immer neue Tricks und Anreize zieht die Videospielindustrie junge Menschen in ihren Bann, und sprichwörtlich auch das Geld aus der Tasche“, sagt Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der Krankenkasse DAK. Viele Spiele könnten zunächst kostenlos installiert werden. Geld verlangten die Unternehmen, wenn der Nutzer spezielle Gegenstände erwerben wolle. Selbst einfache Accessoires, etwa Hüte oder andere Kleidungsstücke für die Spielfigur, müssten extra gekauft werden, sagt Thomasius. Solche Gegenstände sollen dem virtuellen Alter ego ein individuelles Aussehen verleihen. Das kann teuer werden. Der eigentliche Wert von Gegenständen werde dabei häufig dadurch verschleiert, dass sie nicht mit echtem Geld gekauft würden, sondern zunächst eine virtuelle Spielwährung erworben werden müsse. Doch selbst damit könne der Spieler den Gegenstand, den er haben will, nicht immer direkt kaufen. Viele Spiele setzten auch auf sogenannte Lootboxen (wörtlich übersetzt „Beutekisten“). In diesen Überraschungskisten könne ein Spieler ein extrem wertvolles Objekt oder einen für ihn völlig nutzlosen Gegenstand finden.

Daniel Schmitt sagt: „Irgendwann habe ich täglich gezockt, um neue Spielgegenstände zu erhalten und meine Figur besser auszurüsten“. Geld habe das noch nicht gekostet, da sich die Gegenstände kostenlos sammeln ließen, aber es kostete Zeit in der virtuellen Welt. Soviel Zeit, dass Schmitt sein Studium schleifen ließ, und das obwohl er sich im Fach Praktische Informatik genau mit den Themen beschäftigte, die ihn interessierten. Abgeschlossen habe er das Studium nie, im dritten Semester brach er es ab. Irgendwann habe er wegen seiner Fehlzeiten den Anschluss verloren.

Wer zu viel spiele, habe oft auch Probleme in der Schule, erklärt Thomasius. Elf Prozent der suchtgefährdeten Spieler fehlten innerhalb von einem Monat eine Woche oder mehr in der Schule oder Ausbildung. Das sei etwa drei Mal häufiger als bei unauffälligen Spielern, so Thomasius. Nach Einschätzung des Zentrums für Suchtfragen fördern aktuelle Spiele die Abhängigkeit bei Kindern und Jugendlichen. Zum einen veränderten sich die virtuellen Welten ständig und es gebe kein klares Ziel beim Spielen, da das Spielgeschehen nie abgeschlossen werde. Auch gingen die Spiele besonders auf Bedürfnisse und Wünsche der Spieler ein und berücksichtigten persönliche Fähigkeiten. Soziale Effekte spielten auch eine Rolle, Spieler fühlten sich in der Gruppe anerkannt. Hinzu komme, dass die Spieler vor allem dann belohnt würden, wenn sie besonders viel Zeit in ein Spiel investierten.

Daniel Schmitt erinnert sich: „In ganz exzessiven Zeiten habe ich gewartet, bis meine Eltern das Haus verließen, und habe dann von morgens 10 Uhr bis nachts gespielt“. Oft habe er behauptet, eine Vorlesung sei ausgefallen, um zu Hause bleiben zu können. Auch mit seiner Freundin habe er in der Zeit oft diskutiert, weil diese sich vernachlässigt gefühlt habe. Er selbst fand sein Verhalten lange nicht problematisch, stellte aber irgendwann fest, dass er sich immer öfter auch Ausreden einfallen ließ, um nichts mit Freunden zu unternehmen oder mit seinen Eltern Essen zu gehen. Das habe ihm schon zu denken gegeben.

Die DAK-Studie hat auch untersucht, wie viel Geld Kinder und Jugendliche für Computerspiele ausgeben. Mehr als die Hälfte der regelmäßigen Spieler kaufte in den sechs Monaten vor der Befragung Spiele oder Zusatzgegenstände. Im Durchschnitt lagen die Ausgaben bei 110 Euro, wobei auch ein Spitzenwert von knapp 1000 Euro genannt wurde. Jeder dritte Euro wurde für das Actionspiele Fortnite und die Fußballsimulation Fifa ausgegeben. Bei den zusätzlichen Ausgaben fließe das Geld meist in die Spielwährung, Kostüme oder Skins. Skins sind rein optische Veränderungen an Waffen oder dem Spielcharakter. Sechs Prozent der befragten Spieler gaben an, das Geld für Extras am ehesten in Lootboxen zu investieren. Wer suchtgefährdet sei, gebe doppelt so viel Geld für Spiele aus wie unauffällige Spieler, sagt Thomasius.

Daniel Schmitt begann während der Suche nach einem Ausbildungsplatz Counter Strike zu spielen. Das Ballerspiel hat seit Jahren eine große Fangemeinde. Irgendwann habe ihn beim Spielen der Ehrgeiz gepackt, er wollte besser werden, um mit anderen Spielern mithalten zu können. Dabei spielte auch die Ausstattung eine Rolle. Er kaufte Skins. Die PC-Spieleplattform Steam zeigt Schmitt heute an, wie viel ihm seine Leidenschaft wert war: rund 1000 Dollar, umgerechnet 890 Euro, hat er allein hier ausgegeben. Auf Drittanbieterseiten habe er ebenfalls gekauft. Was da noch zusammenkomme, wisse er nicht genau. „Ich habe gar nicht gemerkt, dass sich das so häuft. Meist waren es ja nur kleine Beträge, die ich in die einzelnen Skins investiert habe.“ Meistens, aber nicht immer: Für 120 Euro habe er sich einen Messer-Skin gekauft. „Man denkt, dass die Sachen ja auch wiederverkauft werden können und unter Umständen sogar im Wert steigen.“ Als er sein Spielekonto auflöste, machte Schmitt allerdings Verluste. Obwohl er selbst über seine Ausgaben erschrocken war, sagt er heute, dass er immer Grenzen gekannt habe. Er habe nie Geld ausgegeben, dass er nicht dafür habe erübrigen können. Er kenne aber genug Spieler, die über ihre Ausgaben die Kontrolle verloren hätten.

Als Konsequenz aus den Umfrageergebnissen fordert die DAK ein Verbot von Glücksspielelementen in Computerspielen sowie Warnhinweise zu den Spielzeiten und Ausgaben. „Aus Spaß kann schnell Sucht werden. Deshalb muss der Glückspielcharakter in Computerspielen eingedämmt werden. Wir brauchen wie in Belgien und den Niederlanden ein Verbot von Lootboxen“, sagt DAK-Vorsitzender Storm. Außerdem sollten Warnhinweise eingeblendet werden, wenn bestimmte Spielzeiten überschritten werden. Ferner wolle die Krankenkasse ihre Prävention und Aufklärung verstärken. Daniel Schmitt sagt, er habe auch während seiner Ausbildung zum Elektriker noch gezockt, aber durch die feste Tagesstruktur sein Verhalten deutlich geändert. „Heute spiele ich sehr viel weniger“. Er habe keine Sorge, dass er es in der Zukunft nochmal übertreibe. Sein jetziger Job, der ihn zufrieden mache, verhindere das.

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