Internet-Experten: Bürger und Firmen sind zu sorglos

Berlin · Die digitale Welt ist ein gefährliches Terrain: Schadprogramme, infizierte Rechner und politische Hackerattacken. Zuletzt bekam das auch die Kanzlerin zu spüren, als Kriminelle ihre Webseite lahmlegten. Das zuständige Bundesamt warnt nun die Internetnutzer.

Die oberste Behörde für die IT-Sicherheit in Deutschland warnt vor wachsenden Bedrohungen im Internet und beklagt eine "digitale Sorglosigkeit" vieler Bürger und Firmen. "Die Angreiferszene rüstet auf", sagte der Präsident des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), Michael Hange. "Hackerangriffe werden immer professioneller." Viele Internetnutzer und Unternehmen seien sich der Gefahren aber nicht ausreichend bewusst. Zu der jüngsten Attacke auf die Internetseiten der Kanzlerin und des Bundestages sagte Hange, die Besonderheit dabei liege nicht in der Technik, sondern in der politischen Bedeutung. Zu dem Angriff hatte sich eine prorussische Hacker-Gruppe aus der Ukraine namens CyberBerkut bekannt.

Hange erklärte, mehr als eine Million Rechner in Deutschland seien mit Schadprogrammen infiziert und in Botnetzen zusammengeschlossen. Botnetze sind viele verschiedene Rechner privater Nutzer, die durch eine Schadsoftware unbemerkt miteinander kommunizieren können. Meist sind alle infizierten Computer mit einem gemeinsamen Server verbunden, den Hacker steuern und über den sie Angriffe starten können. "Das ist ein erhebliches Gefahrenpotenzial." Jeder Rechner könne zu einem Tatwerkzeug werden, ohne dass Nutzer das überhaupt merken.

Cyberangriffe seien bequem und das Entdeckungsrisiko für die Täter gering, betonte der BSI-Chef. Die technischen Instrumente seien im Netz zu kaufen und beispielsweise Botnetze zu mieten. Das Dunkelfeld der Internetkriminalität sei sehr groß und die Aufklärungsquote niedrig.

Die Sensibilität für die Gefahren im Internet bei Bürgern und Firmen habe sich durch die Enthüllungen der US-Geheimdienstaffäre zwar verbessert, sagte Hange. Er ist jedoch der Meinung, dass viele Bürger sich zu wenig Gedanken um die IT-Sicherheit machen. "Viele Nutzer und Firmen merken gar nicht, wenn sie Opfer eines Hackerangriffs werden." Zum Teil fehle es an Kompetenz, Gefahren zu erkennen und für genügend Schutz zu sorgen. In vielen Firmen werde außerdem zu wenig in IT-Sicherheit investiert. Gerade bei kleinen mittelständischen Firmen hapere es noch.

Am vergangenen Mittwoch hatte ein schwerer Hackerangriff auf die Internetseiten von Kanzleramt und Bundestag für Aufsehen gesorgt. Die Seiten waren stundenlang lahmgelegt. Die Truppe CyberBerkut begründete die Attacke mit der deutschen Unterstützung für den ukrainischen Ministerpräsidenten Arseni Jazenjuk, der am selben Tag zu Besuch in Berlin war (die SZ berichtete).

Die Webseiten gehören nicht zum Regierungsnetz, sondern liegen bei einem kommerziellen Betreiber. Das BSI ist deshalb nicht unmittelbar für ihren Schutz zuständig. Hange betonte aber, den Angreifern sei es gelungen, mit der Attacke die Öffentlichkeit auf ihre politische Botschaft aufmerksam zu machen.

Der Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Hans-Dieter Heumann, sagte, in Zukunft würden politische Auseinandersetzungen verstärkt im digitalen Raum ausgetragen. Der Angriff der prorussischen Hackertruppe zeige, "wie wichtig es ist, sich mit dem Thema Cybersicherheit zu befassen und künftig, stärker als bisher, die sicherheitspolitische Relevanz in den Vordergrund zu rücken". Das BSI und die Bundesakademie veranstalten heute in Berlin eine Konferenz zur Cybersicherheit.

Heumann sagte, Staaten wie China, Russland und die USA investierten viel Geld, um in puncto IT-Sicherheit aufzurüsten. Eine solche Aufrüstung verschärfe die Gefahren, auch für Angriffe auf kritische Infrastrukturen. Deutschland müsse seine eigenen Fähigkeiten ausbauen. "Wir brauchen einen wehrhaften Cyberschild, der potenzielle Angreifer abschreckt. Da hinken wir hinterher", beklagte Heumann.

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