Kontaktpflege und Missverständnisse Glanz und Elend digitaler Familientreffen

Stuttgart/Frankfurt · Gruppenchats mit Verwandten können ganz unterschiedliche Reaktionen auslösen – und echte Besuche nicht ersetzen.

 Nachrichten aus Familienchatgruppen können ganz unterschiedliche Reaktionen auslösen. 

Nachrichten aus Familienchatgruppen können ganz unterschiedliche Reaktionen auslösen. 

Foto: dpa/Sina Schuldt

Mama schreibt... Mama schreibt... Mama schreibt...“ Das Handy zeigt an, dass die Mutter gerade dabei ist, auf ihrem Gerät scheinbar mühsam eine Nachricht einzutippen. Eine gefühlte Ewigkeit später: Pling! Auf dem Bildschirm erscheint ein gelbes, zwinkerndes Gesicht. Oder ein Daumen hoch. Oder eine Hummel. Mitteilungdienste wie Whatsapp, Telegram und Threema fürs Smartphone ermöglichen eine Familienzusammenführung der anderen Art. In Chatgruppen treffen Generationen aufeinander, jede mit ihrer ganz eigenen Art zu kommunizieren und teils kuriosen Folgen.

Für manche sind diese Familienchats die Möglichkeit, regelmäßiger von Angehörigen zu hören und zu lesen, die man sonst nur auf Großmutters 80. Geburtstag trifft. Andere nervt das ständige Nachrichtenrauschen, das solche Gruppenunterhaltungen mit sich bringen. Wieder andere amüsieren sich köstlich. Das Internet ist voll von Anekdoten und schiefgegangenen Gesprächsversuchen – mal als Ich-Erzählung, mal dokumentiert mit Bildschirmfotos.

Herausforderung Nummer eins: das Tempo. Eine Generation, die mit dem Smartphone aufgewachsen ist, reagiert und tippt meist deutlich schneller als ein angehender Silver Surfer, der sein erstes Handy mit Mitte 50 bekommen hat. Zudem spielt die automatische Rechtschreibkorrektur immer wieder Streiche. Ebenfalls weit auseinander driften manchmal die Interpretationen von Emojis, jener kleinen Zeichen, die die Stimmungslage des Absenders ausdrücken sollen und die längst um Obst, Gemüse, Sportarten und Einhörner ergänzt sind.

Selten sind sämtliche Familienmitglieder Fans von Kettenbriefen, lustig gemeinten Weihnachtsvideos, minutenlangen Sprachnachrichten und zahlreichen Fotos des ersten Abendessens im Urlaub. Apropos: Manche Gruppen scheinen einzig der reichweitenstarken Verbreitung von Impressionen der Ferien mit den Kindern zu dienen. Wenn dann jeder Opa, jede Großtante, jeder Patenonkel Entzücken kundtut, nehmen  Nachrichten ohne großen Informationsgehalt schnell überhand. Benachrichtigungen über neue Beiträge lassen sich abstellen und als Ultima Ratio gibt es die Möglichkeit, aus Gruppen auszutreten, aber damit ist dem Familienfrieden meist nicht gedient.

Medienpsychologe Tobias Dienlin von der Universität Hohenheim in Stuttgart kann solchen digitalen Familienzusammenführungen viel Positives abgewinnen. Wer die sozialen Medien nutze, um mit seinen Verwandten zu kommunizieren, habe häufig auch auf anderen Kanälen oder im echten Lieben wieder mehr Kontakt. Gespräche würden fortgeführt, reale Treffen wahrscheinlicher, erklärt Dienlin. Gerade ältere Menschen erhielten so die Chance, mehr am Familienleben teilzunehmen, was sonst für sie vielleicht aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr möglich wäre.

Der Psychologe weist allerdings auch auf Risiken hin: „Kommunikation ist nicht gleich Kommunikation.“ Ein Bild aus dem Urlaub zu schicken, gehe zwar schnell, habe aber nicht die gleiche Wirkung wie etwa ein Besuch. „Nachgewiesen ist, dass es uns gut tut, im selben Raum zu sein, sich zu berühren“, so Dienlin. Da reagiere der Körper ganz anders, als wenn digitale Grüße auf dem Handy eintrudeln. Wichtig sei ein „Cocktail“ von Kommunikationswegen. Gruppenchats seien keine Alternative zu Treffen, auch weil die Gefahr von Missverständnissen steige: Emojis sind nicht immer eindeutig oder treffend und Ironie lässt sich in Texten nur schwerlich vermitteln.

Whatsapp und Threema stellen auf ihren Webseiten lediglich technische Informationen zu Chatgruppen zu Verfügung. Eine Art Knigge dafür bietet hingegen Vodafone (siehe Info-Box), darunter die Regeln 2 und 3: Fasse dich kurz und achte auf die Lesbarkeit. Weiter heißt es da: „Noch ein Tipp: Das Schreiben in GROSSBUCHSTABEN wird immer noch als Schreien interpretiert und die Verwendung mehrerer Satzzeichen hintereinander wie „???????“ deutet schnell auf eine gewisse Genervtheit deinerseits hin.“

Inzwischen wird der Familienchat sogar verballhornt. Immer wieder kursieren Bilder von gestellten Chatverläufen im Netz: Statt Mama, Papa und Bruder unterhalten sich dann zum Beispiel angeblich Angela Merkel, Wladimir Putin und Donald Trump über Weltpolitik im Stil einer familiären Konversation.

Dass mit Familienchats nicht immer zu spaßen ist, machte Anfang des Jahres ein Fall am Oberlandesgericht Frankfurt am Main deutlich: Ein Mann hatte schon in zweiter Instanz gegen seine Schwiegermutter geklagt, dass diese nicht länger in einer Whatsapp-Gruppe vor anderen Familienmitgliedern behaupten dürfe, er habe seinen Sohn misshandelt. Doch der Vater bekam kein Recht. Das Gericht argumentierte: „Innerhalb des engsten Familienkreises besteht ein ehrschutzfreier Raum, der es ermöglicht, sich frei auszusprechen, ohne gerichtliche Verfolgung befürchten zu müssen.“ Auf gut Deutsch: In Familienchats dürfen beim Streit die Fetzen fliegen.

(dpa)
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