Großwerden mit Google

Saarbrücken · Schon viele Dreijährige sind täglich online. Doch welche Folgen hat es, wenn sie die Welt zunehmend mit Wischen und Klicken statt mit allen Sinnen entdecken? Darüber sprach Redaktionsmitglied Eva Lippold mit dem Psychologen Frank Paulus.

Smartphone und Tablet gehören bereits für viele Vorschulkinder zum Alltag. Jeder zehnte Dreijährige ist regelmäßig damit online. Bei den Sechsjährigen sind es 28 Prozent, bei den Achtjährigen über die Hälfte (55 Prozent). Das geht aus einer Studie des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI) hervor. Doch wie viel Internet ist gesund für Kinder? Und woran erkennen Eltern , dass ihr Kind durch Medienkonsum gefährdet ist? Dr. Frank W. Paulus, Leitender Psychologe der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Uniklinik Homburg, forscht unter anderem in den Bereichen Online-Abhängigkeit und ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätsstörung). Er rät dringend, insbesondere kleinere Kinder im Netz nicht allein zu lassen.

Ist es in Ordnung, wenn bereits Vorschulkinder regelmäßig online sind?

Frank Paulus: Wie immer spielt die Dosis, also die damit verbrachte Zeit, eine große Rolle. Generell sollten Bildschirmtätigkeiten nicht übertrieben werden in dem Alter. Allein schon, weil in der Zeit keine anderen Erfahrungen in der realen Welt gesammelt werden. Und die sind für eine gute Entwicklung wirklich wichtig. Etwas schmecken, etwas Modriges riechen, einen Käfer auf der Hand krabbeln lassen ... Vor dem dritten Lebensjahr sollte man aus meiner Sicht völlig auf Bildschirme verzichten. Im Kindergartenalter kann man langsam beginnen, die Dosis zu steigern, aber eher zehn bis 20 Minuten, keine Stunde, und nie allein, immer dabeibleiben. Und darüber sprechen, was gesehen wurde, das Kind begleiten.

Hat die Nutzung digitaler Medien für Kinder auch positive Aspekte?

Paulus: Das Internet ist eine Tatsache. Das Rad lässt sich da nicht zurückdrehen. Verteufelungen wie "alles verbieten" und "digitale Demenz" helfen da überhaupt nicht weiter. Mediennutzung ist ganz oft sehr sinnvoll. Zum Beispiel zum Lernen. Studien zeigen beispielsweise positive Zusammenhänge zwischen Computerspiel und räumlichem Vorstellungsvermögen. Computerspiele können helfen, Lernprozesse zu festigen, etwa bei Lese-Rechtschreib-Störungen. Mediennutzung ist ab der Pubertät auch sehr sinnvoll für sozialen Austausch, also zum Beispiel um sich mit Freunden zu verabreden. In dem Alter kann ein Ausschluss von Mediennutzung, wie das manchmal aus ideologischen Gründen von Eltern versucht wird, zu einer Außenseiterrolle führen und eher schaden.

Wie entsteht Online-Sucht? Wer wird süchtig und warum?

Paulus: Das ist ein komplexer Prozess. Die reine Nutzungszeit, die etwa am PC verbracht wird, ist wichtig und hat einen Einfluss. Aber die Zeit allein erklärt auch nicht alles. Andere Faktoren spielen eine große Rolle. Gibt es etwa eine Veranlagung des Kindes, psychische Störungen zu entwickeln? Die Forschung zeigt: Bei Computerspielsucht sind starke Zusammenhänge zu ADHS, zu depressiven Störungen und Angststörungen gesichert. Exzessive Computernutzung kann psychische Störungen aufrechterhalten und sogar verschlimmern. Wie in der Familien mit Medien umgegangen wird, ist auch wichtig: Was für ein Vorbild sind die Eltern ? Wie können Eltern ihre Kinder vor einer Sucht schützen?

Paulus: Das Vermitteln eines guten Selbstwertgefühls in der Erziehung hilft gegen Sucht . Und die Fähigkeit, mit eigenen Gefühlen gut umgehen zu können, gute Beziehungen zu Gleichaltrigen zu haben, das schützt unsere Kinder. Also viele positive Erfahrungen in der "realen" Welt. Computer müssen auch nicht dauernd und grenzenlos verfügbar sein, vor allem bei Kindern nicht. Und ich rate Eltern : Lassen Sie sich zeigen, was ihr Kind online macht, interessieren Sie sich!Es gibt verschiedene Anzeichen, an denen Eltern erkennen können, dass die Computernutzung ihres Kindes bedenkliche Ausmaße annimmt, sagt der Psychotherapeut Dr. Frank Paulus, der in der Kinderpsychiatrie der Uniklinik Homburg/Saar mit onlinesüchtigen Jugendlichen arbeitet. "Dazu gehört zum Beispiel, dass das Kind andere Interessen vernachlässigt oder nervös und reizbar wird, wenn die Nutzung nicht möglich ist." Besorgte Eltern sollten sich fragen: Kann ich die Online-Nutzung meines Kind noch kontrollieren? Kreisen die Gedanken des Kindes ständig um die Computernutzung? Und nimmt die Zeit zu, in der das Kind online ist? Ein eindeutiges Signal für eine Sucht sei, wenn der Medienkonsum bereits schädliche Folgen nach sich zieht. Das könnten zum Beispiel Schlafstörungen, schulische Probleme oder der Verlust von Freundschaften sein.

Wenn das Kind zu viel Zeit vor dem Rechner verbringt und Abhängigkeitsanzeichen vorliegen, sollten Eltern Experten zurate ziehen. "Computerabhängigkeit ist ein zunehmend großes Thema in unserer Klinik", sagt Paulus. Im Zweifelsfall könne eine mögliche Sucht dort diagnostiziert werden. "Gerade wenn ein Verdacht auf zusätzliche psychische Störungen wie ADHS oder Depression vorliegt, ist das ratsam."

Können solche psychischen Störungen ausgeschlossen werden, sind Beratungsstellen eine gute Adresse. Tipps und eine Liste von Ansprechpartnern gibt es bei der EU-Initiative klicksafe.de und dem Online-Portal "Schau hin was dein Kind mit Medien macht". Einen Elternratgeber zum Thema bietet die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung kostenlos an ("Online sein mit Maß und Spaß").

uks.eu/kinderpsychatrie

klicksafe.de

schau-hin.info

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