Generation „Kopf unten“ lebt gefährlich

Saarbrücken · Wer am Steuer sitzt, darf nicht mit dem Smartphone hantieren. Doch viele Autofahrer halten sich nicht daran. Forscher haben jetzt herausgefunden, dass vor allem das Tippen auf dem Handy zu Unfällen führt. Aber auch vom Mobiltelefon abgelenkte Fußgänger sorgen oft für gefährliche Situationen.

Nur noch schnell eine SMS schreiben. Da passiert schon nichts. Das denken sich wohl die meisten Autofahrer, wenn sie während der Fahrt ihr Smartphone zücken. Dabei geschehen immer mehr Unfälle, weil sich die Fahrer durch Informations- und Kommunikationssysteme ablenken lassen. Bei einer Studie der Technischen Universität Braunschweig stellte sich jetzt heraus: Vor allem beim Tippen kommen Autofahrer von der Straße ab. Professor Mark Vollrath, der die Untersuchung leitete, erklärt: "Gegenüber dem Telefonieren werden beim Lesen und Schreiben von Textnachrichten sowohl visuelle als auch motorische Fähigkeiten benötigt." Der Blick sei dabei meist relativ lange auf des Handydisplay gerichtet und nicht auf die Straße, wo er hingehöre.

60 Euro Bußgeld und ein Punkt in Flensburg werden fällig, wenn Autofahrer mit dem Handy am Steuer erwischt werden. Wer als Radfahrer telefoniert, muss 25 Euro zahlen. Für Fußgänger gibt es solche Strafen nicht, dabei verursachen auch sie, abgelenkt von ihrem Mobiltelefon, immer öfter Unfälle. Sven Rademacher, Sprecher des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR), verweist dennoch auf die Straßenverkehrsordnung. Paragraf 1 lautet: "Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht." Rechtliche oder auch die Versicherung betreffende Konsequenzen seien nicht ausgeschlossen, sofern Fußgängern eine Teilschuld nachgewiesen werde, erklärt der Experte.

Die Verbreitung von Smartphones hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Der Branchenverband Bitkom geht davon aus, dass sechs von zehn Bundesbürgern ab 14 Jahren zumindest gelegentlich ein Smartphone nutzen. Für das Jahr 2014 meldete der Verband fast 24 Millionen verkauften Geräten in Deutschland. Von der Generation "Kopf unten" ist seit einiger Zeit die Rede.

Gefühlte Unterforderung

"Die Leute werden unaufmerksamer", sagt Petra Reetz. Sie ist Sprecherin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG ), deren Mitarbeiter die Hauptstadt mit U-Bahnen, Bussen und Straßenbahnen befahren. Abgelenkte Fußgänger , die noch knapp vor der heranquietschenden Tram über die Gleise laufen, sind für die Fahrer nicht neu. 1979 kam der erste Walkman auf den Markt, seither sind viele Fußgänger mit Musik auf den Ohren unterwegs. Die BVG machte schon vor Jahren mit der Kampagne "Achte auf deine Linie!" auf Gefahren aufmerksam.

Als Problem ist jetzt hinzugekommen, dass manche Smartphone-Nutzer auch mit den Augen nicht mehr auf den Verkehr achten. Das hat auch der Auto Club Europa (ACE) beobachtet. Im Sommer 2013 analysierten ehrenamtliche Helfer das Verhalten von insgesamt etwa 30 000 Kraftfahrern, gut 36 000 Fußgängern und mehr als 13 000 Radfahrern an Zebrastreifen. Fehler machten dort alle drei Gruppen, auch die Fußgänger : "Mehr als 13 Prozent der Erwachsenen schalten am Zebrastreifen gedanklich völlig ab und schlendern oder hasten über die Straße, ohne vorher nach links und rechts geschaut zu haben", bilanzierte der ACE damals. Und ergänzte: "Dabei sind sie häufig mit ihrem Smartphone beschäftigt."

Die Polizei führt keine Statistiken darüber, wie oft Smartphones bei Unfällen eine Rolle spielen. Aus dem Polizeipräsidium Stuttgart heißt es aber: "Vermutlich haben diese Unfälle zugenommen, alleine schon aufgrund der ansteigenden Verbreitung der Geräte." Professor Peter Biberthaler, der Direktor der Klinik für Unfallchirurgie am Klinikum Rechts der Isar in München, teilt diese Einschätzung. Zwar hat er ebenfalls keine Zahlen. Aber aus seiner täglichen Routine erkenne er eine Zunahme solcher Smartphone-Unfälle.

"Gefühlte Unterforderung", das ist für den ADAC-Verkehrspsychologen Ulrich Chiellino ein Grund dafür, dass sich Fußgänger mit dem Smartphone ablenken. Eine Strecke von A nach B zu laufen, sei eben nicht immer aufregend. Er empfiehlt, ob im Auto oder zu Fuß, die Augen offen zu halten und zu schauen, was um einen herum passiert.

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