Gefangen in der Onlinewelt

Saarbrücken · Jeden Tag stundenlang online, aufgegebene Hobbys, verlorene Freunde und vernachlässigte Ausbildung – das alles sind Anzeichen für eine Internetsucht. Mainzer Mediziner haben herausgefunden, dass zu viel Internetkonsum tatsächlich sozial ausgrenzen kann.

Torben ist verzweifelt. Der übergewichtige Jugendliche igelt sich die meiste Zeit in seinem Zimmer ein, geht kaum noch raus, nimmt immer weiter zu. Soziale Kontakte außerhalb des Internets sind ihm ein Gräuel, seine Mitschüler haben ihn wegen seiner äußeren Erscheinung oft verspottet. Seine Zeit verbringt er hauptsächlich mit einem Online-Rollenspiel. Zwei Ausbildungen hat er bereits abgebrochen. Nach durchgezockten Nächten war Torben übermüdet, fehlte und hatte Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen. Dann langweilt ihn selbst seine vertraute Online-Welt. Schließlich weiß er nicht mehr weiter - und beginnt eine Therapie bei Holger Feindel.

Feindel ist Oberarzt an der Sucht-Klinik Münchwies im saarländischen Neunkirchen und Leiter der Abteilung für pathologischen PC- und Internetgebrauch. Er arbeitet durchschnittlich mit 125 Jugendlichen pro Jahr. Torbens Fall ist keine Ausnahme, häufig ähneln sich die Erfahrungen der Jugendlichen. "Meist sind es recht unsichere und zurückhaltende Menschen, die in Online-Rollenspielen oder sozialen Netzwerken aufgehen", erklärt Feindel. "Dort interessiert es niemanden, wie sie aussehen, wie sie im realen Leben sind oder welche Stempel ihnen aufgedrückt wurden. Die Spieler können sich dort nach ihren Wünschen darstellen und haben dort auch oft Erfolg, der ihnen außerhalb des Internet-Spiels fehlt." Ein bedenkliches Ausmaß des Internet-Konsums sei dann erreicht, wenn in der Welt eines Jugendlichen außerhalb eines Online-Spiels oder eines sozialen Netzwerks ganz real den Bach runtergeht, erläutert Feindel.

Jungen eher betroffen

Eine Studie der Klinik für psychosomatische Medizin der Universitätsmedizin Mainz hat nun nachgewiesen, dass zu viel Internet Jugendliche tatsächlich einsam macht und ihre Fähigkeit beeinträchtig, Bindungen zu Gleichaltrigen aufzubauen. Ein Forscherteam um Klinik-Direktor Manfred Beutel befragte rund 2400 Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren. Das Ergebnis: Knapp drei Prozent von ihnen nutzten das Internet suchtartig, rund 14 Prozent zeigten einen ausufernden Gebrauch - Jungen wie Mädchen. Suchtartig bedeutet laut Studie: mehr als sechs Stunden pro Tag online, keine Kontrolle mehr über die im Netz verbrachte Zeit und die Aufgabe von Interessen. "Jugendliche, die häufig Angebote von Onlinespielen nutzen, haben eine schlechtere Bindung zu ihren Freunden", fasst Beutel zusammen. Sie kommunizierten weniger, hätten weniger Vertrauen, fühlten sich stärker von anderen entfremdet und liefen Gefahr, sozial ausgegrenzt zu werden. Dabei verbringen Jungen laut Studie mehr Zeit mit Online-Spielen als Mädchen, die häufiger in sozialen Netzwerken unterwegs sind oder online shoppen gehen. Nach Beutels Ansicht sollen Eltern und Lehrer Jugendliche bei der Mediennutzung begleiten und ihren sozialen Umgang beachten.

Spiele nicht verteufeln

In Torbens Fall war der familiäre Hintergrund nicht stabil, keiner kontrollierte ihn oder stellte Regeln auf. Holger Feindel beschreibt einen konkreten Weg für besorgte Eltern und Lehrer, um zu einem im Internet versunkenen Jugendlichen durchzudringen: "Sie sollten die Aktivität am PC nicht verteufeln. Wir empfehlen den Versuch, die Online-Welt des Jugendlichen zu verstehen." So sollten Eltern sich das Internet-Spiel vom Jugendlichen erklären lassen, den Gründen für seine Faszination nachspüren, auch mal selbst mitspielen und wahrnehmen, was genau das Spiel so positiv für ihren Sohn oder ihre Tochter macht. Erst dann sollten sie Kritik üben.

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