Kinder als Werbeträger Wenn das Spielzimmer zum Arbeitsplatz wird

Paris · Frankreich verabschiedet ein Gesetz, das minderjährige Influencer schützen soll – und ist damit Deutschland voraus.

 Eltern, die ihre Kinder in den sozialen Medien für Werbezwecke vermarkten wollen, haben es nun in Frankreich schwerer.

Eltern, die ihre Kinder in den sozialen Medien für Werbezwecke vermarkten wollen, haben es nun in Frankreich schwerer.

Foto: dpa-tmn/Rainer Holz

Egal ob sie spielt, sich verkleidet oder mit ihrem Bruder rum­albert, ob an ihrem ersten Tag im Gymnasium oder im Supermarkt beim Einkaufen von Schulmaterialien: Rund eine Million Menschen verfolgen den Alltag von Sabina. Gefilmt werden diese Alltagsszenen von ihrer Mutter, die sie dann auf dem Youtube-Kanal „Mademoiselle Sabina“ veröffentlich. Die Abonnenten müssen kein Geld ausgeben, um die Aktivitäten der Jugendlichen zu verfolgen. Dafür werden in den Videos immer wieder Anzeigen eingeblendet, um Werbeeinnahmen zu generieren.

So steht Sabina in einer Reihe mit Néo, Kalys, Athéna und anderen französischen Kindern und Jugendlichen, die regelmäßig in Videos im Netz zu sehen sind und dadurch Geld verdienen. Einen Vertrag haben sie nicht, denn sie werden von ihren eigenen Eltern in Szene gesetzt. Es gibt keine Produktionsfirma, keine Rahmenbedingungen, alles spielt sich im Familienkreis ab.

Ist das nur Freizeit, die in Bildern festgehalten wird, oder eine tatsächliche Arbeit, bei der Szenen einstudiert werden? Die Grenzen sind fließend und solche Aktivitäten von Minderjährigen als sogenannte „Influencer“ liegen in einer Grauzone. Diese Lücke hat die französische Nationalversammlung nun geschlossen und ein Gesetz zur Reglementierung solcher Tätigkeiten verabschiedet. So werden auch zum ersten Mal Videos, die zu Hause von Eltern produziert werden, in einen rechtlichen Rahmen eingebettet.

Das neue Gesetz lehnt sich an eine bereits existierende Regelung der Arbeit von Kindern und Jugendlichen im Kultur- und Kunstbereich an. Für Influencer sollen jetzt die gleichen Bedingungen gelten wie zum Beispiel für den Kino-Nachwuchs. Für Minderjährige unter 16 Jahren müssen die Eltern eine entsprechende Genehmigung beim Sozialamt des zuständigen Départements beantragen. Der Antrag sieht eine genaue Beschreibung der Tätigkeit vor sowie ein Attest durch einen Kinderarzt. Wer für seine Arbeit in einem Film mehr als vier Tage in der Schule fehlt, braucht zudem eine Ausnahmegenehmigung von der Schulbehörde.

Wird dem Antrag stattgegeben, schreibt das Gesetz genau vor, unter welchen Bedingungen die Arbeit vonstattengehen darf. Kinder zwischen sechs und elf dürfen beispielsweise maximal drei Stunden täglich im Einsatz sein. Nach eineinhalb Stunden muss eine Pause gewährleistet werden. Zwischen zwölf und 16 Jahren darf dann vier Stunden täglich gearbeitet werden, mit einer Pause nach den ersten zwei Stunden. Auch die Einnahmen aus einer Tätigkeit als Schauspieler, Statist oder Model werden streng kontrolliert. Sie fließen auf ein Konto beim staatlichen Finanzinstitut „Caisse des dépôts“ bis das Kind volljährig ist.

Damit soll verhindert werden, dass ganze Familien ihren Unterhalt durch die Videos ihrer Sprösslinge verdienen und die finanzielle Verantwortung auf den Kindern lastet. Denn über die genauen Einnahmen ist oft wenig bekannt. Auf Youtube selbst finden sich Hinweise über die Inhalte, die für Werbeeinblendungen geeignet sind, aber nichts dazu, wieviel Geld man tatsächlich verdient. Eine Stellungnahme dazu lehnte Youtube gegenüber unserer Zeitung ab.

Eine gängige Praxis ist die Berechnung der Leistung von Influencern nach dem Prinzip des Tausender-Kontakt-Preises. Je mehr Nutzer sich die Inhalte anschauen, desto mehr Geld fließt in die Kasse. Darüber hinaus können Eltern neben Sachpreisen wie Spielzeugen, die in den Videos beworben werden sollen, auch direkt Geld von den werbenden Unternehmen beziehen. Dabei ist die Reichweite der veröffentlichten Beiträge für die Vergütung relevant. „Deutlich wird die werbliche Relevanz für die Zielgruppe in Studienergebnissen zu Influencer-Marketing. Demnach sind Influencer neben Freunden und Online-Bewertungen die glaubwürdigste Quelle für Kaufentscheidungen“, schreibt die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien in ihrem Gefährdungsatlas.

Wie in Frankreich wird in Deutschland die Frage der gewerblichen Mitwirkung von Minderjährigen an Film oder Werbeaufträgen gesetzlich geregelt. Ähnlich wie bei unseren Nachbarn bedarf es hier einer Einwilligung der Schule, des Jugendamtes und des Kinderarztes. Das Jugendarbeitsschutzgesetz ist zwar ein Bundesgesetz, für die Einhaltung der Vorschriften sind jedoch die zuständigen Arbeitsschutzbehörden nach Landesrecht zuständig.

Diese für die Bereiche Funk, Fernsehen und Werbung geltenden Regelungen treffen aber nicht auf die Videos von Influencern zu, die von ihren Verwandten gefilmt werden. Hier stellt sich die Frage, ob eine Beschäftigung im Sinne des Jugendarbeitsschutzgesetzes vorliegt. „Dies muss jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände geprüft werden“, teilt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf Anfrage mit. Dabei seien zahlreiche Kriterien zu berücksichtigen. „Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Beschäftigung können sich zum Beispiel ergeben, wenn Kinder und Jugendliche vermarktet werden oder für ihre Tätigkeit ein Entgelt enthalten, wenn eine Verpflichtung zur Ableistung der Tätigkeit besteht oder eine erhebliche zeitliche Beanspruchung der Kinder und Jugendlichen erfolgt“, erklärt das Ministerium.

Hierzulande werden ebenfalls Stimmen laut, die eine stärkere Berücksichtigung von Kindeswohl im Netz fordern. „Wir beobachten immer wieder, dass Kinder-Influencer rechtswidrigen Eingriffen in ihre Integrität ausgesetzt sind“, bedauert zum Beispiel Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes. „Filmen beim Aufwecken, der Besuch beim Kinderarzt oder im Krankenhaus, im Badezimmer, im Planschbecken – das geht gar nicht“, sagt Krüger. Demnächst könnte es jedoch eine gesetzliche Antwort darauf geben, wie der Einsatz von Kinder-Influencern in Deutschland geregelt werden soll. Für dieses Jahr hat Familienministerin Franziska Giffey (SPD) ein neues Jugendmedienschutzgesetz angekündigt. 

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