Bürgerportal und Gesichtserkennung Das Gesicht als virtueller Personalausweis

Paris · Das eigene Konterfei soll in Frankreich als Online-Identitätsnachweis eingesetzt werden. Das löst Kritik aus.

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Foto: SZ

Schluss mit Dutzenden unterschiedlichen Passwörtern und mit ellenlangen Schlangen in Rathäusern. Die französische Regierung will Behördengänge für ihre Bürger vereinfachen. Dafür hat sie die Smartphone-App Alicem entwickeln lassen. Mithilfe dieser Anwendung sollen französische Staatsbürger mit einer einzigen Anmeldung Zugang zu rund 500 öffentlichen Diensten bekommen. Doch das System ist im Land umstritten. Denn um sicherzugehen, dass der Mensch, der das Smartphone nutzt, um etwa ein neues Autokennzeichen zu beantragen, auch wirklich der Inhaber des dafür benötigten Ausweises ist, muss er ein Video von sich aufnehmen. Dabei wird sein Gesicht vom System mit dem Foto auf dem Ausweis verglichen.

Das gefällt in Frankreich nicht jedem. Die Datenschutzbehörde CNIL moniert zum Beispiel den Umgang mit den hochsensiblen biometrischen Daten. Menschen, die deren Freigabe ablehnen, könnten so keine staatlich abgesicherte digitale Identität bekommen. Laut CNIL müsste diesen Nutzern eine echte Alternative zu dieser automatischen Gesichtserkennung durch das System angeboten werden. Zum Beispiel ein Video-Anruf bei einer Meldebehörde, wo ein Mitarbeiter die Identität prüfen könnte.

Ein solches Verfahren, bei dem die Identität des Nutzers per Videokamera bestätigt wird, wird als Video-Ident-Verfahren (kurz für Video-Identifikation) bezeichnet. Diese Verfahren sind im privaten Bereich bereits sehr verbreitet. Online-Banken nutzen sie zum Beispiel, wenn ein Kunde ein Konto eröffnen will. Doch für das Vorhaben des französischen Staates, das Millionen Menschen betrifft, sei es schwer umzusetzen, sagt Florian Kirchbuchner vom Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung in Darmstadt. „Das Verfahren ist sehr aufwendig. Man braucht viele Mitarbeiter, die den Abgleich durchführen können. In solchen Dimensionen wie beim in Frankreich entwickelten System ist es schwer vorstellbar“, erklärt Kirchbuchner. „Außerdem bietet es im Vergleich zur systematischen Gesichtserkennung nicht mehr Sicherheit. Da ist die Maschine zuverlässiger als das menschliche Auge“, erläutert Kirchbuchner. Sicherer wäre es nur noch, ein Tiefenbild, sprich ein sehr detailliertes, dreidimensionales Bild zu nutzen. Solche Systeme seien gegen einen möglichen Missbrauch der Daten grundsätzlich sicher. „Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es aber nie“, stellt er klar.

Doch was viele Franzosen befürchten, ist nicht nur ein Datenklau durch Hacker. Viele verdächtigen ihren eigenen Staat, die sensiblen Daten für sich selbst zu nutzen – zu Überwachungszwecken. Am anderen Ende der Welt ist ein Land schon länger für den Einsatz der systematisierten Gesichtserkennung seiner Bürger berüchtigt. „China setzt bereits seit Jahren auf dieses Prinzip, sodass Identifikation sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich flächendeckend über Gesichtserkennung läuft“, erklärt Indra Spiecker, Professorin für Öffentliches Recht, Informationsrecht, Umweltrecht und Verwaltungswissenschaft an der Goethe-Universität in Frankfurt. Dadurch lassen sich auch individuelle Profile der einzelnen Bürger erstellen. „Gesichter sind sehr individuell. Sie lassen zudem auch Emotionen und Regungen ablesen. Ein Gesichtserkennungssystem kann dann auch alle diese Umstände, in Verbindung mit anderen Daten, zum Beispiel mit wem man unterwegs ist, wie lange man an einem Ort ist oder mit wem man spricht, ohne weiteres für Profile nutzen“, erklärt sie.

Anders als in China läuft es in Europa. „Die Europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und die Europäische Datenschutz-Richtlinie im Bereich von Justiz und Inneres regeln diesen Bereich. Danach sind im öffentlichen Bereich, also zum Beispiel beim staatlichen Identitätsmanagement, enge Grenzen einzuhalten“, so Spiecker.

In der Europäischen Union ist Frankreich das erste Land, das ein solches System der systematischen Gesichtserkennung für staatliche Zwecke nutzt. Das System soll schon bald an den Start gehen. Wer Zweifel habe, muss sich ja nicht bei Alicem anmelden, betont die französische Regierung. Das Verfahren sei nicht verpflichtend und es gebe eine bekannte Alternative dazu: Beim Bürgeramt ein Ticket ziehen und sich in die ellenlange Schlange einreihen.

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