Gläserne Nutzer Facebook bezahlt Jugendliche für Daten

San Francisco · Für 17 Euro im Monat legten Nutzer dem sozialen Netzwerk ihre gesamten Aktivitäten auf ihrem Smartphone offen.

 Zahlreiche Nutzer, auch Minderjährige, gaben Facebook gegen Bezahlung Einblick in ihr gesamtes Online-Verhalten auf dem Smartphone.

Zahlreiche Nutzer, auch Minderjährige, gaben Facebook gegen Bezahlung Einblick in ihr gesamtes Online-Verhalten auf dem Smartphone.

Foto: dpa-tmn/Mascha Brichta

Facebook hat zahlreichen Nutzern Geld gezahlt, um sich über eine Smartphone-­App Zugang zu ihrem gesamten Online-Verhalten zu verschaffen. Dafür hätten die Anwender zwischen 13 und 35 Jahren pro Monat einen Einkaufsgutschein im Wert von bis zu 17 Euro bekommen, schreibt das IT-Portal Tech Crunch. Damit hätte Facebook auch Jugendliche im Visier gehabt. Der Konzern betonte, dass die Nutzer bei der Anmeldung dem Zugriff auf ihre Daten zunächst zustimmen müssten. Weniger als fünf Prozent von ihnen seien minderjährig gewesen. In diesen Fällen hätte das Online-Netzwerk zudem die Zustimmung der Eltern eingeholt.

Das Projekt läuft nach Angaben von Tech Crunch bereits seit 2016. Die iOS-Version der App sei inzwischen eingestellt worden, auf Android sei das Programm jedoch nach wie vor verfügbar. Auf Apple-­Geräten sei die Situation besonders pikant, da Facebook wohl gegen die Nutzungsbedingungen des ­iPhone-Konzerns verstoßen habe, sagt Will Strafach, Informatiker und Entwickler von Sicherheits-Software. Seinen Angaben zufolge mussten Nutzer die Studien-App direkt auf ihre Smartphones laden. Somit hätten sie den ­App ­Store, Apples Einkaufsplattform, umgangen. Ein solches Verfahren sei nur dann erlaubt, wenn Unternehmen Programme auf firmeneigenen Geräten installieren wollten.

Die Facebook Research App verlangt von ihren Nutzern laut Strafach einen besonders tiefgehenden Einblick in das Smartphone. So habe das Programm unter anderem auf Kurznachrichten, verschickte Fotos und Videos, Adressen besuchter Seiten und auch Daten aus Ortungs-Anwendungen zugreifen können, sagt der Informatiker. Unklar bleibe, an welchen Informationen genau Facebook interessiert sei. Doch der Umfang der erhobenen Daten sei besorgniserregend, kommentiert Strafach. Nutzer seien zum Teil auch aufgefordert worden, eine Liste ihrer Amazon-Bestellungen einzureichen.

Hinzu kommt, dass Nutzer laut Tech Crunch nicht immer gleich erkennen konnten, dass Facebook hinter der App steckte. Das Programm sei über Plattformen für App-Tests vertrieben und gelegentlich als „Projekt Atlas“ bezeichnet worden. Facebook dementierte dies. An der Verbreitung der App sei nichts „heimlich“ gewesen, erklärte ein Sprecher des Konzerns. Auch seien Nutzer nicht ausgespäht worden, sie seien informiert und bezahlt worden, betonte das Unternehmen. Facebook machte keine Angaben dazu, in welchen Regionen die Studien-App verbreitet wurde.

Das Online-Netzwerk erregte schon einmal mit einem ähnlichen Fall Aufmerksamkeit. 2017 fand das Wall Street Journal heraus, dass Facebook das israelische Unternehmen Onavo und deren gleichnamige App aufgekauft hatte. Das Programm versprach Nutzern eigentlich eine sichere, verschlüsselte Internetverbindung. Zugleich lieferte Onavo aber auch empfindliche Daten an Facebook, etwa welche anderen Online-Dienste bei Nutzern beliebt waren.

Apple entfernte Onavo im vergangenen Jahr aus seinem App Store, nachdem der Konzern die Regeln zum Datenzugriff von Apps verschärft hatte. Nach den neuen Richtlinien darf kein von Apple zugelassenes Programm mehr Daten über die Nutzung anderer Apps sammeln. Auch hier sieht es bei Android anders aus: Die Onavo App ist nach wie vor im Google Play Store erhältlich.

Strafach stellte laut Tech Crunch zudem fest, dass Facebook Research und Onavo einige Gemeinsamkeiten innerhalb ihres jeweiligen Programm-Codes aufweisen. Somit ist es nach Worten des Informatikers möglich, dass die beiden Programme einander ergänzen und parallel Daten sammeln sollen.

Marktforschung sei für Unternehmen nichts Ungewöhnliches, sagt Strafach. Dass Testpersonen ihre gesamten Online-Aktivitäten offenlegten, allerdings schon. Tech Crunch zitierte auch eine Erklärung beim Dienstleister Applause, der die Facebook Research App unter anderem vertrieben hat. Laut der Erklärung erfasse die App etwa, welche Apps auf dem Gerät installiert sind und wie der Anwender diese nutzt. Es sei auch möglich, mutmaßt Tech Crunch, dass die App Daten von Personen erhoben habe, die nicht an der Studie teilgenommen hätten.

Strafach zeigte sich schockiert von Facebooks Verhalten. „Ich habe es noch nie erlebt, dass sich ein App-Store-Entwickler so offen den Richtlinien von Apple widersetzt“, sagte der Informatiker. Er vermute, dass dieser Vorfall die Beziehungen zwischen den beiden Großkonzernen strapazieren könnte.

(dpa)
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