Ein Wolkenkratzer für die Stadt der Türme

Rottweil · Die Hochhäuser der Zukunft brauchen neue Aufzüge. Die dafür nötige Technik testet der Thyssen-Krupp-Konzern in einem Turm in Rottweil. Die vertikale Teststrecke soll technisch interessierte Touristen anlocken. Bis zu 100 000 Besucher jährlich werden erwartet.

 Genau 246 Meter hoch ist der Testturm für Aufzüge, die der Thyssen-Krupp-Konzern in Rottweil gebaut hat. Foto: Thyssen-Krupp/Berndt

Genau 246 Meter hoch ist der Testturm für Aufzüge, die der Thyssen-Krupp-Konzern in Rottweil gebaut hat. Foto: Thyssen-Krupp/Berndt

Foto: Thyssen-Krupp/Berndt

Im Hochhaus der Zukunft stößt die heutige Aufzugstechnik an ihre Grenzen. Denn die funktioniert im Grunde so, als gäbe es zwischen zwei Bahnhöfen nur eine eingleisige Verbindung und einen einzigen Zug. Um mehr Menschen in der Vertikalen befördern zu können, müssen Architekten deshalb immer mehr Aufzugsschächte in Wolkenkratzern einplanen. Die nehmen so bis zu einem Drittel der teuren Geschossfläche weg.

Nun wollen Ingenieure des Thyssen-Krupp-Konzerns neue Aufzugstechniken testen. Sie bauen in Rottweil am Neckar ein Funktionsgebäude für die Aufzugforschung. Dieser Testturm ist 246 Meter hoch und damit das höchste Gebäude in Deutschland südlich der Bankenmetropole Frankfurt. Doch die Konstrukteure wollen noch höher hinaus - zumindest in ihren Simulationen. Der Turm soll Gebäudeschwingungen höherer Bauwerke simulieren. "Derzeit gibt es rund 180 Gebäude über 300 Meter", sagt der Chef der Aufzugssparte An dreas Schierenbeck. Und die Zahl der Wolkenkratzer steigt weiter. Die Gebäude stehen und entstehen überwiegend in Asien. Die Gebäudetechnik kommt oft aus Deutschland.

Der Aufzugsturm ist im Rohbau fertig. An seiner Spitze entsteht eine Aussichtsplattform. Die ist ein Geschenk an die Stadt Rottweil . Die öffentlich zugängliche Plattform, die in einer Höhe von 232 Metern über einen verglasten Panoramalift erreicht wird, "ist die höchste in Deutschland und Europa", erklärt Schierenbeck. Die Eröffnung ist im Mai 2017 geplant. Dann hoffen die Betreiber auf bis zu 100 000 Besucher pro Jahr am Turm. Bereits jetzt erfreut sich die Baustelle starken Interesses. Eine kleine Ausstellung informiert am Fuß des Turms über den Bau - im Jahr 2015 wurden bereits 50 000 Gäste gezählt. Wahrscheinlich schauen sich derzeit mehr Menschen den Neubau an als die älteste Stadt Baden-Württembergs selbst, die wegen ihrer alten Wehr- und Wachtürme auch als Stadt der Türme bezeichnet wird. Da passt der Aufzugsturm gut dazu.

Die technischen Tests sollen im Dezember beginnen. Dann düsen die ersten Aufzüge durch die neun Aufzugsschächte. Hinzu kommen noch zwei weitere Schächte für die Feuerwehr und den Besucherlift der Panoramaplattform. Ziel der Forschung sind Hochgeschwindigkeitsaufzüge, die mit bis zu 65 km/h durch den Turm sausen. Außerdem will das Unternehmen sein neues Konzept der Magnetschwebekabinen testen. Das sind Aufzüge ohne Seil, die magnetisch fahren, das allerdings eher in gewohnter Schrittgeschwindigkeit.

Das Besondere daran: Mit dieser Technik können mehrere Kabinen in einem viele hundert Meter langen Schacht fahren. Über horizontale Verbindungsmechanismen können sie auch den Schacht wechseln. Die Sicherheitstechnik funktioniert wie bei einer sogenannten Wirbelstrombremse von Schienenfahrzeugen. Bei Stromausfall könne eine Kabine nicht herunterfallen, erklärt Schierenbeck. "Die Kabine senkt sich dann mit höchstens fünf Zentimeter pro Sekunde."

Prinzipiell hätte das Unternehmen den Testturm auch wie einen Bergwerksschacht in die Tiefe versenken können. Doch die Forscher und Entwickler wollen mit dem freistehenden Turm das reale Verhalten eines Gebäudes und die Wechselwirkung mit den Aufzügen untersuchen. Im Wind schwingt der Turm, bei Sonne verbiegt sich die Konstruktion. Das muss die Aufzugstechnik berücksichtigen. Technisch können Schwingungen durch die Gegenschwingung eines Pendels kompensiert werden. Dafür sorgt auf rund 193 Metern ein sogenannter Schwingungsdämpfer. Der hängt an acht Seilen, wiegt stolze 240 Tonnen und fängt gewissermaßen jeden Windstoß auf das Gebäude ab. Er hilft, die maximale Turmauslenkung im Sturm auf 76 Zentimeter zu begrenzen.

"Doch wir können den Turm auch aktiv schwingen lassen, wie etwa das One World Trade Center in New York", sagt Schierenbeck. Mehrere Linearmotoren setzen dann die Schwingungsdämpfermasse, riesige Betonquader, in Bewegung. Die Energie überträgt sich über die Aufhängung auf das Gebäude . So können die Ingenieure das One World Trade Center (Höhe bis zum Dach 417 Meter) simulieren und es um 76 Zentimeter hin- und herschwingen lassen. "Diese Option gibt es bei keinem anderen Testturm", sagt Schierenbeck.

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