Ein U-Boot fährt durchs Auge

Mit Nano-Verfahren wollen Physiker winzige Roboter für die Medizin entwickeln, die im menschlichen Körper eingesetzt werden können. Bei der Entwicklung eines Antriebssystems gibt es jetzt erste Fortschritte.

 Weniger als einen tausendstel Millimeter Durchmesser hat diese Antriebseinheit eines Nano-Roboters. Foto: MPG

Weniger als einen tausendstel Millimeter Durchmesser hat diese Antriebseinheit eines Nano-Roboters. Foto: MPG

Foto: MPG

Stuttgart. Die Natur ist immer noch der bessere Ingenieur. Etwa in der Motorentechnik. Der kleinste natürliche Motor misst nur einige Dutzend Nanometer (millionstel Millimeter) und setzt die schraubenähnliche Antriebseinheit eines Bakteriums in Bewegung. 20 Körperlängen schafft es damit pro Sekunde. Übertragen auf ein durchschnittliches Automobil wären das beachtliche 280 Kilometer die Stunde, rechnet Peer Fischer vor.

Fischer ist Professor für Physikalische Chemie der Uni Stuttgart und fasziniert von den Antriebsmechanismen im Mi krokosmos der Natur. Er möchte diese Prinzipien verstehen und verbessern. Seine Vision: In Zukunft sollen Nanoroboter von der Größe einer Blutzelle im Körper eines Menschen medizinisch aktiv werden. Fischer spricht vom Brainbot, einem Nanoroboter, der gehirnchirurgisch eingreifen kann.

Nanoroboter, die wie ein U-Boot durch den Blutkreislauf schwirren, standen vor ein, zwei Jahrzehnten hoch im Kurs der Nanoforscher. Sie fehlten in keiner Präsentation - wobei keinem klar war, wie so etwas zu bauen sei. "Wir müssen solche Nanostrukturen auch dreidimensional bauen können", sagt Fischer. Heute winken viele Forscher ab: zu kompliziert, zu ambitioniert. Andere nähern sich dem Problem, indem sie es in kleine Portionen teilen. Wie baue ich einen Nanoroboter zusammen und aus welchen Teilen? Woher kommt die Energie? Und wie bewegt er sich fort?

Peer Fischer forscht am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart. Seiner Arbeitsgruppe geht es darum, dass sich technische Systeme, egal ob in der Blutbahn oder im Automobil, situationsgerecht verhalten. Der Physiker und Chemiker ist Spezialist für den Mi krokosmos, gewissermaßen ein Mechaniker für Nanobauteile. Für die vielfältigen Konstruktionsideen auf Nanoebene gibt es keine Fabrikationsmethoden.

Eine zentrale Frage betrifft das Fortbewegungsmedium selbst: Wie manövriert man am besten durch Wasser oder biologische Flüssigkeiten? Das scheint trivial. Doch ein Bakterium empfindet Wasser als so zäh, wie ein Mensch, der durch Honig schwimmen würde. Die Natur verwendet für Antriebe Geißeln oder Schrauben. Und die haben Fischer und Kollegen als erstes nachgebaut. Auf einen Siliziumuntergrund bringen sie viele Milliarden kleiner Goldtröpfchen auf und bedampfen sie mit Metallatomen oder anderen chemischen Elementen.

Da die Forscher die Rückseite der Substratscheibe mit Flüssigstickstoff auf unter minus 170 Grad Celsius kühlen, erstarren die Atome wie schockgefroren an Ort und Stelle auf dem Substrat. Langsam lassen die Wissenschaftler danach auf den Goldinselchen Strukturen wachsen. Durch das Verdrehen der Scheiben können sie dabei verschiedene geometrische Bauformen schaffen: Säulen, Haken, Schrauben.

Indem sie die Atomsorte wechseln, stellen die Forscher die Materialeigenschaften ein: leitend oder nicht-leitend, magnetisch oder unmagnetisch. Wollen die Materialien nicht aneinander haften, können die Forscher eine spezielle Atomlage Haftvermittler eindampfen. Eine Stunde Arbeit bringt so auf einen Schlag Milliarden an Nanobauteilen. Im Bild des Elektronenmikroskops zeigt sich schließlich ein Wald gleichförmiger Spiralen oder Haken.

"Im Ultraschallbad rütteln wir die Bauteile vom Substrat ab", erklärt Fischer. Werden die Nanospiralen magnetisiert, können sie durch ein Magnetfeld in Drehungen versetzt werden und willkürliche Bahnen durchs Wasser ziehen, ergänzt der Forscher. Fischer denkt auch über hybride Systeme nach, in denen seine Nanopropeller auf Motorproteine aus Bakterien aufgesetzt werden. Auch versuchen er und seine Mitarbeiter neue Fortbewegungsmöglichkeiten in Flüssigkeiten zu entwickeln.

Für konkrete Anwendungsszenarien ist es noch zu früh. Eine Idee zur minimal invasiven Chirurgie lässt sich Fischer indes entlocken: Mit einer Spritze könnte eine Nanoroboter in den Augapfel injiziert werden. Das Bauteil schraubt sich dann durch Augenflüssigkeit und einen Dschungel an Makromolekülen bis zur Netzhaut, durchquert diese und kann dann hinter der Netzhaut chirurgisch aktiv werden. Wie man danach ein solches Gerät wiederfindet und herausbringt, ist allerdings unklar. Die Forscher müssen die Herausforderungen im Nanokosmos eben Schritt für Schritt lösen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort