Ein Paralleluniversum in der Hosentasche

Saarbrücken · Bald sollen Smartphones anstatt einfach nur Fotos schießen zu können, ganze Räume in 3-D darstellen können. An dieser Technik arbeitet der Internetriese Google zusammen mit Wissenschaftlern aus Zürich.

"Mama, mein Schuh drückt", sagt Pablo. "Ich brauche so schöne Neue, die blinken, wie die von Tobias." Diesmal würde ich nicht stöhnen. Ich würde einfach mit dem Smartphone den Fuß meines Sohnes scannen. Es war immer schwierig, die passenden Schuhe für Pablo zu finden. Doch in meiner Vorstellung ist alles anders: In Echtzeit berechnet eine App die exakte Form und Größe von Pablos kleinen Quadratlatschen. Anhand der Fuß-Daten spuckt der Online-Schuhversand alle verfügbaren blinkenden Schuhmodelle aus, die seiner Passform entsprechen. Im Online-Shop probieren wir sie an seinem virtuellen Fuß an.

Industrie und Forschung arbeiten daran, dass solche und andere Szenarien mithilfe mobiler 3-D-Scanner bald Wirklichkeit werden. Der US-amerikanische Internetkonzern Google entwickelt unter dem Projektnamen Tango ein Smartphone, das in der Lage sein soll, nicht nur Gegenstände, sondern ganze Räume und reale Landschaften dreidimensional abzubilden. Möglich machen sollen das drei eingebaute Kameras und zahlreiche Sensoren und Computerchips. Die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich) arbeitet daneben an einer App für das Betriebssystem Android, mit der Nutzer unterwegs mit dem Smartphone Gegenstände oder Personen in 3-D scannen können.

Der Informatikprofessor Marc Pollefeys hat den mobilen 3-D-Scanner an der ETH Zürich entwickelt und ist mit seiner Software auch an Googles Projekt Tango beteiligt. "Ich denke, diese Technik wird die Art, wie wir mit der Welt interagieren, sehr verändern", prognostiziert Pollefeys. Mit Techniken wie Tango könnten Unternehmen etwa dreidimensionale Abbildungen ihrer Produkte online stellen. Auch bei der Navigation innerhalb von Gebäuden sei die neue Technologie einsetzbar, erläutert Pollefeys.

Probewohnen im 3-D-Modell

Vorstellbar wäre beispielsweise, dass das Smartphone seinen Besitzer im Supermarkt auf einer virtuellen Karte durch die Gänge zum nächsten Weinregal führt. Möbelhäuser könnten Sofas, Tische oder Lampen als dreidimensionale Modelle im Internet bereitstellen, sodass Nutzer, die mit Tango ihr Wohnzimmer abgescannt haben, die Möbel vor dem Kauf in der digitalen Wohnzimmer-Kopie platzieren können

Grundsätzlich beruhen die meisten 3-D-Scans auf dem mathematischen Verfahren der Triangulation, erklärt der Informatiker die Verfahrensweise der Scan-Technik. Damit könne man die einzelnen Punkte einer Fläche im dreidimensionalen Raum berechnen. Etwa, indem man Licht auf ein Objekt werfe und den Weg berechne, den das Licht zwischen der Kamera und der Oberfläche des Objekts zurücklege. Die App, die Pollefeys mit seinem Team entwickelt, greift auf dieses Verfahren zurück. Fünf Aufnahmen benötigt sie, um einen Gegenstand dreidimensional abbilden zu können. Für das Tango-Handy von Google sollen verschiedene Scan-Verfahren gleichzeitig verwendet werden, so Pollefeys.

Ganz neu sind die Verfahren, auf denen diese Vermessung der Welt beruht, allerdings nicht. "Die Technik, um reale Objekte im Raum dreidimensional darzustellen, haben wir bereits seit 20 Jahren", sagt Pollefeys. Dass sie erst jetzt zum Einsatz kommt, hängt mit der Ausstattung und der Rechenleistung moderner Smartphones zusammen. Die vielen Sensoren , die darin verbaut sind, liefern Informationen darüber, wo sich das Gerät im Raum befindet und wohin es mit welcher Geschwindigkeit bewegt wird. All diese Daten ändern sich ständig in Bruchteilen von Sekunden. Um dieser Datenflut Herr zu werden, braucht es leistungsstarke Prozessoren.

Bis die neue Welt in 3-D Realität wird, dauert es aber noch. Von Googles Tango existieren erst einige Prototypen. Den 3-D-Scanner der ETH Zürich gibt es bislang nur als inoffizielles Testprogramm. 2015 sollen die ersten Tango-Geräte auf den Markt kommen.

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