Meister dreht nachts an den Zeigern

Rehna (dpa) · In der Nacht zum Sonntag werden die Uhren auf Sommerzeit umgestellt - von 2.00 auf 3.00 Uhr. Für einen Uhrmacher in Rehna bedeutet das ordentlich Handarbeit: Der Meister sammelt alte mechanische Chronometer und muss daher an besonders vielen Zeigern drehen.

 Mit Beginn der Sommerzeit stellt Uhrmachermeister Günter Klein seine Sammlung alter, rein mechanischer Regulatoren per Hand um. Foto: Jens Büttner/dpa

Mit Beginn der Sommerzeit stellt Uhrmachermeister Günter Klein seine Sammlung alter, rein mechanischer Regulatoren per Hand um. Foto: Jens Büttner/dpa

Zeit kann man nicht sehen, nicht hören, nicht anhalten - oder doch? In der winzigen Werkstatt von Uhrmachermeister Günter Klein in Rehna (Nordwestmecklenburg) scheint jedes normale Zeitgefühl verloren zu gehen.

Der 78-Jährige bereitet sich auf einen wichtigen, alle halbe Jahre wiederkehrenden Akt vor. In der Nacht zum Sonntag beginnt die Sommerzeit, Uhren müssen von 2.00 auf 3.00 Uhr vorgestellt werden. Hundertfach wird Meister Klein dann an den Zeigern drehen, denn er sammelt und repariert besonders alte, rein mechanisch funktionierende Regulatoren.

Unzählige Chronometer stehen und hängen in dem Laden, der einst Kleins Vater gehörte und seit 1998 dem Sohn. Zu den ältesten Stücken zählen eine Fassaden-Uhr von 1910 und eine besonders exakte, englische Bahnhofsuhr aus dem Jahr 1880. Daneben ticken und gongen hundertjährige Wand- und Standuhren um die Wette. Manche Mechaniken, sogenannte Skelettuhren, geben ihr Innerstes preis: Zahnrädchen, Ketten, Stifte, Federn und Pendel sind zu sehen. Regelmäßig aufgezogen, greifen die Teile wie von Zauberhand gelenkt ineinander und übertragen Energie auf die stetig vorrückenden Zeiger.

„Zeit wird hier sichtbar und ist zu hören“, sagt Klein. In batteriebetriebenen Quarzuhren oder funkgesteuerten Zeitmessern könne man nichts mehr erkennen. Mechanische Werke hingegen seien interessanter und dank edler Materialien widerstandsfähiger gegen Verschleiß, sagt er. Bei etlichen Uhren im Laden aber steht die Zeit still, die Zeiger sind auf zehn nach zehn oder zehn vor zwei in „Ruhestellung“ ordentlich ausgerichtet. Es sei schwer, alle Uhren gleich einzustellen. „Das gäbe ein totales Durcheinander“, sagt Klein. Also halte er viele von ihnen an.

Uhren, die gehen, sollten wirklich stimmen, betont er. Er habe sich eine Apparatur ausgedacht, die mit einer Art Lichtschranke die Pendelbewegungen alter Chronometer exakt ermittle. Dementsprechend könne er dann die Längen der Uhrpendel so regulieren, dass die vielen verschiedenen Uhren tatsächlich richtig und damit synchron ticken. „Dann gehen sie alle ganz genau gleich“, erklärt der Uhrmacher. Als Kind wollte Klein Arzt oder Musiker werden, schließlich lernte er das Handwerk des Vaters und legte 1961 in Hamburg die Meisterprüfung ab.

In Mecklenburg-Vorpommern gehören Zeitexperten wie Meister Klein zu einer aussterbenden Spezies. 1992 gab es im Nordosten 142 Uhrmacher, heute sind es nur noch 69. Die nächste Berufsschule für das Gewerk gibt es in Hamburg. „Aktuell befindet sich im Land kein Jugendlicher in der Ausbildung zum Uhrmacher“, sagt Petra Gansen von der Handwerkskammer Schwerin. Westmecklenburg zählte seit 1990 nur 16 Lehrlinge, im Kammerbezirk Ostmecklenburg und Vorpommern lernte der letzte Uhrmacher-Azubi im Jahr 2000 aus.

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