Die Welt vor Augen – und noch viel mehr

Saarbrücken · Firmen bieten seit diesem Frühjahr erstmals erschwingliche Datenbrillen an. Die Industrie will die Geräte in der Kundenberatung einsetzen, Nutzer freuen sich auf mehr Komfort. Doch noch gibt es technische Hürden.

 Kopfüber in 3D-Welten: Sogenannte Datenbrillen spiegeln Internet-Nutzern die virtuelle Realität zum Greifen nah vor.

Kopfüber in 3D-Welten: Sogenannte Datenbrillen spiegeln Internet-Nutzern die virtuelle Realität zum Greifen nah vor.

Foto: Fotolia

In diesem Frühjahr soll die virtuelle Revolution beginnen. Dann kommen erschwingliche Datenbrillen auf den Markt, mit denen Nutzer in künstliche Welten abtauchen können. Die beteiligten Firmen erhoffen sich von diesen Geräten, die so groß wie Taucherbrillen sind, einen florierenden Markt. Auch Boris Goldshteyn, Chef des Berliner Jungunternehmens AllVR, will von dem Boom profitieren. Er und seine Kollegen entwickeln eine Software, mit der Architekten und ihre Kunden per Cyber-Brille virtuell Wohnungen begehen und dort fachsimpeln können.

Für Goldshteyn sind die Datenbrillen nicht nur Produkte für die Film- und Spieleindustrie. "Die virtuelle Realität eignet sich hervorragend für die Kundenberatung ", sagt er. Direkt wie nie könnten Unternehmen ihren Kunden Dienstleistungen anbieten, obwohl sie in der echten Welt hunderte Kilometer entfernt sind.

Wenn ein Münchner nach Wohnungen in Berlin suche, müsse er nicht extra in die Bundeshauptstadt fahren und dort mit dem Makler die Immobilien abklappern. Die Architekten laden ihre Skizzen, Modelle und Berechnungen einfach in die Speicher des Unternehmens AllVR. In der sogenannten Cloud werden die Daten für die Darstellung in den Datenbrillen aufbereitet. Anschließend kann der Architekt einen virtuellen Rundgang durch die Räume mit dem Kunden machen, der zuhause auf seiner Couch sitzt.

Rechner und Konsolen sind seit Mitte des vergangenen Jahrzehntes technisch in der Lage, fast fotorealistische 3D-Grafik in Echtzeit zu berechnen. Doch anstatt die Grafik auf einem Monitor am PC wiederzugeben, werden die Bilder nun direkt in die Datenbrillen vor die Augen des Anwenders übertragen. Die Geräte verfügen über Sensoren, die die Kopfbewegung des Nutzers erfassen. Der ist so in der Lage, sich in virtuellen Räumen umzusehen und mit der passenden Hardware auch durch diese zu bewegen. Jan-Keno Janssen hat als Redakteur beim IT-Magazin c't die Brillen ausgiebig getestet. "Die Brillen gaukeln dem Auge eine täuschend echt wirkende Virtualität vor", sagt er.

Eine Reihe von Herstellern setzen darauf, dass sich die Verbraucher davon in den Bann ziehen lassen. Samsung bietet das Einsteiger-Modell Gear VR an. Der Smartphone-Hersteller HTC schickt seit April die 900 Euro teure Hightech-Brille HTC Vive ins Rennen. Sony wird ab Herbst für seine Konsole Playstation 4 die Brille Playstation VR auf den Markt bringen. Hohe Wetten hat auch Facebook auf die virtuelle Realität abgeschlossen. Der Konzern kaufte den kleinen Entwickler Oculus VR Anfang 2014 für zwei Milliarden Dollar auf. Das neue Tochterunternehmen entwickelt für den Internet-Giganten die Brille Oculus Rift, die seit Ende März für 700 Euro angeboten wird. Konzern-Chef Zuckerberg gab sich zuletzt auf der IT-Messe MWC in Barcelona zuversichtlich, dass die Datenbrillen einen ähnlichen Siegeszug wie Smartphones hinlegen werden. Für Jan-Keno Janssen ist es wenig überraschend, dass Facebook oder HTC bei der Entwicklung mitmischen: "Die Unternehmen haben erkannt, dass sich die Cyber-Brillen bestens dafür eignen, die Barrieren zwischen den Nutzern einzureißen". Die Facebook-Chats, in denen die Nutzer nur Text oder Videonachrichten kommunizieren, hätten ausgedient. Nun sei es möglich, dass sich Menschen in virtuellen Welten treffen. Der Autohersteller Audi will in diesem Jahr seine Autohäuser mit den Cyberbrillen ausstatten. Die Kunden können virtuell sämtliche Modelle in Augenschein nehmen und nach ihren Wünschen konfigurieren.

Doch so konkret auch die ersten Projekte in Sachen virtueller Realität scheinen, stoßen sie doch an gewisse Grenzen. Das räumt Goldshteyn ein. Zwar könne der Architekt Konstruktionsdaten in die Daten-Wolke seines Unternehmens AllVR hochladen. Doch ein leistungsstarker PC des Nutzers muss die 3D-Modelle berechnen, bevor der Kunde seine Cyber-Wohnung betreten kann. Im Herbst soll AllVR die Marktreife erlangen. Goldshteyn vertraut darauf, dass der Verkaufserfolg der Datenbrillen seinem Unternehmen in die Hände spielt.

Die technischen Anforderungen machen c't-Redakteur Jan-Keno Janssen allerdings skeptisch, ob die Datenbrillen ähnlich rasante Verkaufsschlager wie die Smartphones werden. "Die Datenbrillen haben aber viel Potential, das sich in den nächsten zehn Jahren richtig entwickeln wird", so der Fachmann.

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