Die Webseiten der Allerkleinsten

Delmenhorst · Eltern, die viel in sozialen Medien unterwegs sind, veröffentlichen dort auch gerne mal ein Foto von ihrem Nachwuchs. Manche betreiben sogar öffentliche Tagebücher im Namen ihres Kindes. Experten warnen.

Mariam zeigt mit dem Finger auf ein Foto auf dem Laptop-Bildschirm. "Papa schiebt", sagt die Zweijährige, auf Türkisch fügt sie hinzu: "Blume". Auf dem Foto sieht sie sich im Buggy sitzen, mit Gänseblümchenkranz im Haar. "Mimi-Blog", ruft Mariam, genannt Mimi, fröhlich. Die Kleine wächst dreisprachig auf. Neben Deutsch lernt sie von ihrer Mutter Türkisch, von ihrem Vater Arabisch. "Mimi-Blog" heißt das Internet-Tagebuch, das ihre Eltern am Tag ihrer Geburt begonnen haben - aus der Sicht des Kindes. Mimi gehört damit gewissermaßen zu den jüngsten Bloggerinnen im Netz. Blogs sind persönliche Webseiten von Internet-Nutzern, auf denen sie in unregelmäßigen Abständen aus ihrem Leben berichten.

"Mein erstes Wort: Wäää" - so lautet der Premieren-Eintrag im Blog. "Damals gab es nicht so viel zu berichten", sagt Mimis Papa Hassan Mohsen. "Jetzt wird es immer mehr." Entweder macht Mariam ein Handyfoto von ihrer Puppe Bibi, oder die Eltern stellen Aufnahmen von ihrer Tochter beim Ausflug, Schuh-Kauf oder von ihren kreativen Werken ins Netz. Dazu schreiben sie einen kurzen Kommentar. Für den 31-jährigen Hassan Mohsen und seine 27-jährige Frau Zehra lag es nahe, für ihre Tochter ein eigenes Blog einzurichten. Ihnen gehe es darum, für Mariam ein virtuelles Tagebuch anzulegen, das sie sich überall gemeinsam anschauen können.

Rechtsanwalt Tobias Schäfer aus Wetter an der Ruhr warnt vor solch einem Kinder-Blog. Diese Internet-Tagebücher können nicht mehr gelöscht werden, sagt der Jurist, der 2013 viele Eltern mit einem Beitrag auf seiner Facebook-Seite wachgerüttelt hatte. Er hatte kritisiert, wie leichtfertig sie Kinder-Fotos ins Netz stellen und damit die Persönlichkeitsrechte der Kinder missachten. Ein zur Geburt angelegtes Blog diene letztlich wohl eher der Selbstdarstellung der Eltern, glaubt der Jurist. Für die Kinder bedeute ihr öffentlich dargestelltes Leben einen Verlust der Privatsphäre. "Wenn jeder weiß, wie ich meine Kindheit verbracht habe, bin ich angreifbar", sagt Schäfer, der auch Cybermobbing-Opfer vertritt. Welche gravierenden Folgen das haben kann, sei noch gar nicht abschätzbar.

Stefan Aufenanger, Professor für Erziehungswissenschaft und Medienpädagogik an der Universität Mainz, hat sich bereits vor zehn Jahren mit Internet-Tagebüchern beschäftigt, in denen Eltern von und aus der Sicht ihrer Babys schrieben. Sogar Fotos aus dem Kreißsaal und Ultraschall-Bilder werden darin veröffentlicht. Dies passe "zur Selbstpräsentation in digitalen Medien in der heutigen Zeit", betont Aufenanger. "Dramatisch" finde er das Phänomen nicht. Er vermutet aber, dass die Eltern im Alltag auf ihre eigenen personenbezogenen Daten achten, "aber alles über ihre aufwachsenden Kinder ins Netz stellen". Die Daten der Kinder könnten ausgenutzt werden.

Mariams Eltern haben schon einiges an Kritik zu hören bekommen, auch im Freundeskreis. Darauf reagieren sie gelassen. "Wir wollen nicht ihr ganzes Leben veröffentlichen, sondern nur Bruchstücke", betont Hassan Mohsen.

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