Die vom Aussterben bedrohte Art

Berlin · Warum in die Videothek um die Ecke gehen, wenn man die Filme gleich vom Sofa aus im Internet sehen kann? Doch die Branche betrachtet die Konkurrenz der Online-Videotheken gelassen – und sieht die echte Gefahr woanders.

In der Berliner Video World ist die Welt noch in Ordnung - zumindest am Wochenende. In vielen der mehr als 20 Filialen in der Hauptstadt stehen die Kunden Schlange an der Kasse, beladen nicht nur mit DVD, Blu-ray und Spielen, sondern auch mit Chips, Süßigkeiten und Getränken. Wer Filme noch am selben Tag zurückbringt, zahlt einen Euro. Ein unschlagbares Angebot? Der Schein kann trügen. 1740 klassische Videotheken gab es im letzten Jahr in Deutschland, zehn Jahre zuvor waren es noch 4100.

"Sparen Sie sich den Gang zur Videothek", wirbt die Konkurrenz aus dem Internet ganz unverhohlen. Mehr als 30 Anbieter von Filmen auf Abruf (Video-on-Demand) gibt es inzwischen im deutschsprachigen Raum, darunter Generalisten wie Maxdome, Watchever, Videoload oder Amazon Instant Video, aber auch Spezialisten wie AllesKino für deutsche Filme oder FilmConfect für das Art-House-Kino.

Viele von ihnen bieten Monats-Abos für ihr Sortiment an, aber auch das zeitlich begrenzte Leihen einzelner Filme ist möglich und kostet in der Regel je nach Wunsch zwischen 50 Cent und fünf Euro.

Jörg Weinrich, Vorstand beim Interessenverband des Video- und Medienfachhandels Deutschland, hält die digitale Konkurrenz aber gar nicht für die große Gefahr. "Die Abo-Modelle sind eher eine Konkurrenz zum Fernsehen", glaubt er. Bei den Preisen für das Ausleihen neuerschienener Filme sei die Videothek um die Ecke sogar oft günstiger.

Was Weinrich dagegen wirklich Sorge macht, ist die Internet-Piraterie. "Die Kunden, die der Videothek den Rücken kehrten, gehen zur Hälfte auch der legalen Konkurrenz verloren", sagt er. Schätzungen gehen von einer halben Milliarde Euro Schaden für den legalen Kino- und Videomarkt im vergangenen Jahr aus - bei einem Umsatz von rund 2,8 Milliarden Euro. "Wenn das so bleibt, wird die gesamte Medienbranche bis hin zum eBook Probleme bekommen", sagt Weinrich. Andere EU-Länder ließen illegale Seiten sperren - in Deutschland passiere in dieser Hinsicht viel zu wenig.

Die Probleme der kleinen und mittelständischen deutschen Videotheken sind unübersehbar: Zwischen 2003 und 2013 sanken die Umsätze von 302 auf 210 Millionen Euro. Für Sascha Hölig vom Hans-Bredow-Institut für Medienforschung an der Universität Hamburg hat das nicht allein mit illegalen Filmportalen im Netz zu tun. "Online-Videotheken sind ein herber Schlag", sagt er. "Es hängt von den Verwertungsketten ab, wie das weitergeht." Denn noch bekämen die klassischen Videotheken Filme und Serien in der Regel, bevor sie anderswo verfügbar seien. "Das ist im Moment ihr einziges Plus", ergänzt Hölig. Könnten die Online-Videotheken hier nachziehen, werde die Bequemlichkeit des Kunden siegen.

Mit rund 160 Millionen Euro pro Jahr waren die Umsätze der Online-Videotheken 2013 noch eher bescheiden. Sie machten nur einen Bruchteil des rund 1,7 Milliarden Euro schweren Heimvideo-Marktes in Deutschland aus, der nach wie vor vom herkömmlichen Verleih und Verkauf von DVD und Blu-ray beherrscht wird. Auffällig aber ist das Wachstum der Video-on-Demand-Sparte - allein von 2012 auf 2013 um satte 24 Prozent.

Medienwissenschaftler Hölig glaubt nicht, dass die Filme auf Abruf aus dem Netz neben den Videotheken auch dem klassischen Kino zu schaffen machen. "Die große Leinwand, 3D und Soundeffekte werden Kino immer zu einem besonderen Erlebnis werden lassen", sagt er. Doch die Neuen kämpfen: Netflix hat in den USA gerade angekündigt, seinen Kunden weltweit den Film "Tiger & Dragon II" zeitgleich zum Kinostart zur Verfügung stellen zu wollen.

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